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normative Rahmen der Kriegsbeschädigtenversorgung während des Krieges
als reine Administrativorgane des Staates.49 Für die Ausbezahlung der Unterhalts-
beiträge wurden demgegenüber neue Behörden geschaffen : Bereits 1912 war – wie
bereits ausgeführt – festgelegt worden, dass die Unterhaltsbeiträge im Fall einer Ge-
neralmobilmachung von einem noch einzurichtenden System aus Unterhaltsbezirks-
und Unterhaltslandeskommissionen administriert und ausbezahlt werden sollten. Den
Bezirkskommissionen war in diesem System die Aufgabe zugedacht, die Anspruchs-
berechtigung der Antragsteller zu prüfen und die Gebühren tatsächlich auszuzahlen,
die Landeskommissionen sollten die Evidenzhaltung der Leistungsbezieher überneh-
men und kontrollieren, dass es nicht zu Doppelbezügen kam. Diese Kommissionen
wurden zwar von den Ländern und Gemeinden beschickt, galten jedoch als staatliche
Behörden und unterstanden als solche dem Ministerium für Landesverteidigung.50 So
wurde ein System geschaffen, das in dieser Form noch bis in die 1920er-Jahre in Kraft
bleiben sollte.51
Jene beiden Verordnungen aus 1916 und 1917, die das Unterhaltsbeitragsgesetz von
1912 bzw. die Verordnung von 1915 novellierten, ließen den Kreis der Anspruchsbe-
rechtigten unverändert : Die Unterscheidung zwischen mobilisierten Reservesoldaten
und Präsenzdienstpflichtigen blieb nach wie vor aufrecht, geändert wurden lediglich
Details, die für die Anspruchsberechtigten aber zweifellos Bedeutung hatten, da sie
den Berechnungsmodus der Höhe der Gebühren betrafen. Am grundsätzlichen Sys-
tem der Versorgung rüttelten sie allerdings nicht.
2.4.2 Minderung der Erwerbsfähigkeit
Mit dem oben erwähnten § 2 der Verordnung von 1915 wurde in der Kriegsbeschädig-
tenfürsorge zum ersten Mal ein Prinzip angewandt, das sich auf Jahrzehnte hinaus als
äußerst wirkungsmächtig herausstellten sollte, wenngleich es ursprünglich zur Rege-
lung von Ansprüchen aus der Unfallversicherung geschaffen worden war : das Prinzip
der prozentuellen Quantifizierung körperlicher Schäden gemessen an der sogenann-
ten bürgerlichen Erwerbsfähigkeit, einem explizit nicht-militärischen Kriterium also.
Dieses Prinzip sollte später nicht nur die gesamte Gesetzgebung zur Kriegsbeschädig-
tenfürsorge durchziehen, es fand schließlich auch Eingang in die allgemeine Legisla-
tion über Invalidität jenseits von Kriegsbeschädigungen.52 Bald hatte sich das Kürzel
49 Ebd.
50 RGBl 1912/237, § 8.
51 Vgl. dazu Kapitel 8.1.
52 Gänzlich neu war die Einführung des Prinzips freilich nicht. Ansatzweise findet es sich bereits im Un-
fallversicherungsgesetz von 1888 (RGBl 1888/1) ; dort wird in § 6 im Hinblick auf die Bemessung der
Unfallrente zwischen gänzlicher und teilweiser Erwerbsunfähigkeit unterschieden.
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Wundes des Staates
- Subtitle
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Authors
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 586
- Categories
- Geschichte Nach 1918