Seite - 38 - in Die Liebe der Erika Ewald
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wußte, wie es sich Bahn brechen sollte. In ihren Wangen brannte die
Schmach, und ihre Hände bebten, als müßten sie jeden Augenblick losfahren
in zorniger Gewalt gegen irgend etwas. Die Schwächlichkeit und Scham war
von ihr gewichen, die drängende Macht des Handelns wurde immer deutlicher
und unruhiger in ihr; ein Wesen, das sich vom Schicksal immer hatte formen
und lenken lassen, wollte ihm nun entgegengehen und mit ihm ringen.
Und dieser ziellose ungebärdige Trieb ließ sie in den Gassen irren, ohne
einen Entschluß. Die Wirklichkeit lag in weiter, weiter Ferne. Sie wußte nicht,
wohin sie ging, in ihren Füßen war bleierne Müdigkeit, aber auch eine irre
Bewegung, die sie weiter stieß. Immer mehr hüllte sie sich in ihre Gedanken,
um den Schmerz, der jetzt wach werden wollte, wegzudenken und ihn im
raschen Gehen zu vergessen; doch sie spürte einen Druck von Tränen, die
noch nicht hervorbrechen konnten, aber innen brannten und tropften… … .
Auf einmal stand sie vor einer Brücke. Unten der Fluß, schwarz und
langsam gleitend, mit vielen hellen, glitzernden Punkten. Sterne waren das
und Reflexe von den Brückenlaternen, die hinaufstarrten wie aufgerissene
Augen. Und von irgendwo ein leises unaufhörliches Plätschern, die
Strömung, die sich an einem Pfeiler bricht.
Einen Todesgedanken barg dieser Anblick, das fühlte sie. Ein Beben
überlief ihren Körper. Sie wandte sich um. Es war niemand in der Nähe, hie
und da schwarze Schatten, die vorüberhuschten. Manchmal ein Lachen aus
der Ferne oder das Rollen eines Wagens. Aber in der Nähe niemand, keiner,
der sie hindern könnte. Wie leicht, wie rasch das war; ein Griff, ein Schwung
über die Rampe, dann noch ein paar häßliche ringende Minuten unten, dort
unten in dieser schweigsamen Dunkelheit und dann Friede … . reicher,
ewiger Friede, fern von allen Wirklichkeiten, der beruhigende Trost des
Nichtwiedererwachens… .
Aber dann ein anderer Gedanke! Eine verunstaltete Leiche, die man aus
dem Wasser zieht, Neugierige, die sich belustigen, Gerede und Geschwätz –
es tat ja nicht mehr weh! Aber einer war, der könnte es erfahren und dann
vielleicht selbstbewußt lächeln, im Bewußtsein eines Siegers… .. Nein – das
durfte nicht sein! Das Leben war noch nicht erschöpft, das fühlte sie, denn es
konnte noch Rache bergen, den letzten tastenden Versuch einer Verzweiflung.
Und vielleicht war es sogar schön, und sie hatte nur falsch gelebt, sie war gut
und vertrauend gewesen, mild und zurückhaltend, während man rücksichtslos,
gierig und verschlagen sein sollte, wie ein Raubtier, das sich von fremdem
Leben nährt.
Ein Lachen rang sich ihr aus der Brust, wie sie sich von der Brücke
abwendete, ein Lachen, vor dem sie erschrak. Denn sie fühlte, wie sie sich
selbst nicht ihre ungesprochenen Worte glaubte. Nur der Schmerz war wahr,
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Die Liebe der Erika Ewald
- Titel
- Die Liebe der Erika Ewald
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1904
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik