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Dann ward wieder alles ruhiger. Sie schämte sich der Gewalttätigkeit dieser
wortlosen Abwehr. Aber die Wand, die schon ganz durchleuchtet gewesen
war von den Strahlen einer übersinnlichen Liebe, starrte wieder schwarz und
hoch zwischen beiden. In ihren Blicken war Kälte, Unrast und Beschämung,
nicht Zorn mehr und nicht mehr Vertrauen, nur Wirklichkeit und nicht mehr
mystisch erschauernde Sehnsucht. Und schlaff fielen die Hände an ihrem
schmalen Körper herab, wie Schwingen, die auf hochrauschendem Fluge
zerbrochen. Noch immer war ihr das Leben ein Rätsel von Schönheit und
Seltsamkeit, aber sie wagte nicht mehr den Traum zu lieben, aus dem sie so
niederschmetternd erwacht war.
Auch der alte Maler fühlte, daß ihn ein voreiliges Vertrauen betrogen hatte,
aber es war nicht die erste Enttäuschung seines langen suchenden Lebens, das
nur Treue und Vertrauen war. So kam ihn kein Schmerz an, sondern nur
Erstaunen und dann wieder fast Freude über ihre rasche Beschämung. Sanft
faßte er ihre beiden schmalen Kinderhände, in denen noch das Fieber glühte.
»Esther, du hast mich beinahe erschreckt mit deiner jähen Aufwallung. Ich
meine es doch nicht schlecht mit dir. Oder denkst du das?«
Sie schüttelte beschämt ihren Kopf, um sich im nächsten Momente wieder
aufzurichten. Und ihre Worte wurden beinah wieder trotzig:
»Aber ich will keine Christin sein. Ich will nicht. Ich« – sie würgte an dem
Worte lange, ehe sie es mit gedämpfter Stimme sagte – »Ich… . Ich hasse die
Christen. Ich kenne sie nicht, aber ich hasse sie. Was Ihr mir gesagt habt von
der Liebe, die alle umfaßt, ist schöner, als jedes Wort, das ich in meinem
Leben je erhört. Aber die Menschen um mich sagen auch, daß sie Christen
sind, aber sie sind roh und gewalttätig. Und … . ich weiß nicht mehr alles
klar, es ist schon zu lange her … . aber wenn wir zu Hause von den Christen
sprachen, so war eine Angst und ein Haß in den Worten… . Alle haßten sie…
. Und ich auch… .. Denn wenn ich mit meinem Vater ging, so schrieen sie uns
nach und einmal warfen sie Steine nach uns… .. Mich selbst hat einer
getroffen, daß ich blutete und weinte, aber mein Vater zog mich ängstlich fort,
als ich nach Hilfe schrie… . Mehr weiß ich nicht von ihnen… . Doch, ich
weiß noch… . Unsere Gassen waren dunkel und eng, wie die hier, wo ich
wohne. Und nur Juden wohnten darin… . Aber drüben die Stadt war schön.
Ich habe sie einmal hoch von einem Hause gesehn… . Ein Fluß war darin, der
so blau und klar vorüberfloß und drüben eine breite Brücke, auf der
Menschen in hellen Gewandungen gingen, wie ihr mir sie auf den Bildern
gezeigt habt. Und die Häuser waren mit künstlichen Figuren geschmückt und
mit Gold und Giebeln verziert. Dazwischen standen hohe, ach, so hohe
Türme, in denen die Glocken sangen, und die Sonne kam herab bis in die
Straßen. Es war alles so schön… . Als ich aber meinem Vater sagte, er möge
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Die Liebe der Erika Ewald
- Titel
- Die Liebe der Erika Ewald
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1904
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik