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schrumpften. Über lange Zeit nach dem Umbruch verzichteten die offiziellen
Stellen auf solche Berechnungen.
Da ich einen um dreieinhalb Jahre älteren Bruder hatte, gab es bei der Teilung
von Essen und vor allem von „Restln“ öfters kleine Auseinandersetzungen.
Der Spruch meines Vaters, ein Jurist, war (fast) salomonisch: „Der eine teilt,
der andere wählt.“ Dies führte zu einer Millimeterarbeit bei der Teilung von
Essbarem, denn machte man einen „Fehler“, hatte man das Nachsehen.
Zunächst mussten die Männer zum Reichsarbeitsdienst (RAD) einrücken, dann
wurden immer mehr junge Männer zur Musterung aufgefordert und zur Ausbil-
dung in die Kasernen eingezogen. Wer der Einberufung nicht nachkam, bekam
am nächsten Morgen, so gegen sechs Uhr früh, „Besuch“ von der Militärpolizei.
Es waren dies zwei große und kräftige Männer, die um den Hals eine Eisenkette
trugen, auf der vorne ein ovales Schild mit der Aufschrift „Militärpolizei“ befes-
tigt war; deswegen wurden sie auch als Kettenhunde bezeichnet. Sie mach-
ten kurzen Prozess und eskortieren den Stellungsunwilligen in den Bunker
der zugeteilten Kaserne, wo er drei Tage bei Wasser und Brot Zeit hatte, über
sein Verhalten nachzudenken. Meist wurde dann der vorgeschriebene Weg zur
Stellung eingeschlagen. Mit Kriegsdienstverweigerern wurde anders verfahren.
Parallel zum Reicharbeitsdienst war für junge Frauen ein Pflichtjahr eingeführt
worden, das meist darin bestand, dass sie bei großen bäuerlichen Familien
am Lande in allen Bereichen des landwirtschaftlichen Betriebes mitarbeiten
mussten.
Durch den Mangel an Rohstoffen wurden nicht nur Glocken und Denkmäler aus
Metall entfernt, sondern auch goldene Eheringe gegen solche aus Eisen aus-
getauscht und später für Waffen eingeschmolzen. Auch alle häuslichen Ab-
fälle wurden sortiert und eingesammelt – jeder war hier einbezogen. Speziell
die Schulkinder mussten jeweils am Nachmittag im eigenen und benachbar-
ten Wohnhaus – jeder hatte den ihm zugeteilten Sprengel – bei allen Parteien
Reststoffe einsammeln und diese dann am folgenden Tag zur Schule bringen.
So ging jeder mit seinem Sackerl und Schultasche in die Schule, am Montag
zusätzlich mit einem Sackerl mit den Knochen vom sonntäglichen Essen – so-
weit es (noch) Fleisch gab. Einschub
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Titel
- Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
- Untertitel
- Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Autor
- Othmar Nestroy
- Herausgeber
- Technischen Universität Graz
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-741-0
- Abmessungen
- 20.0 x 25.0 cm
- Seiten
- 120
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einstimmung 8
- Einleitung 11
- Politische Propaganda 13
- Spiel und Sport 19
- Der Krieg wird spürbar 23
- Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
- Privater und öffentlicher Verkehr 32
- Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
- Der totale Krieg beginnt 47
- Die Front rückt näher 57
- Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
- Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
- Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
- Nachklang 93
- Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
- Ausklang 115