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Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten - Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
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26 Dieses Sammeln war aber auch mit dem Vorteil verbunden, dass ich in unse- rem Haus und in den Nebenhäusern alle Parteien persönlich kannte und auch genau wusste, wann wer daheim war oder wo er oder sie sein konnte und viel- leicht auch, was am Sonntag gegessen worden war. Übrigens: Diese „Sammel- wut“ ist mir bis heute geblieben, wenn auch in etwas abgeschwächter Form, doch fällt mir das Wegschmeißen von „wertvollen“ Sachen noch immer schwer. Sparen war damals großgeschrieben und Sparen ist nach wie vor eine Tugend – und nicht eine Untugend. Man hob damals alles auf, vom Perlmutthemdknopf bis zur Gürtelschnalle. Hemdkrägen wurden, falls sie abgewetzt waren, neu angefertigt, und zwar von einem Stoffstück vom selben Hemd, das dem soge- nannten Stock entnommen wurde. Das Oberleder von Schuhen wurde mehr- mals geflickt, Damenstrümpfe wurden repassiert und das Sockenstopfen war die Nachmittagsbeschäftigung einer Mutter. Prolongiert wurde diese „Sam- melwut“ nach Kriegsende z.B. durch das Sammeln der farbigen Papierhüllen der Bensdorp-Schokoladen verschiedener Geschmacksrichtungen, denn für 10 leere Hüllen – so glaube ich – bekam man eine neue Schokolade. Das Sonntagsessen wurde auch eingeschränkt, derart, dass jeden ersten Sonntag im Monat Eintopf angesagt war, der auch kontrolliert wurde. Er war übrigens gar nicht so schlecht und schmeckte uns meist besser als ein zä- hes und flaxiges Rindfleisch. Zu dieser Zeit waren auch Innereien öfters auf dem Speiszettel. Wenn sie richtig zubereitet waren – und meine Mutter war eine sehr gute Köchin –, schmeckten sie vorzüglich; ich schwärme noch heu- te dafür, doch inzwischen sind sie nur mehr selten zu bekommen. Rind- und Schweinefleisch waren relativ billig, Pferdefleisch noch nicht im Handel, ein Huhn dagegen war damals eine der teuersten Speisen und blieb meist nur eine Wunschvorstellung. Der dicke Bauch eines Mannes wurde – nicht nur von uns Kindern – spöttisch als Backhendlfriedhof bezeichnet. Der Mangel an Milch machte sich dadurch merkbar, dass Vollmilch nur mehr für Kleinkinder abge- geben wurde, die Minderjährigen und Erwachsenen sich hingegen mit der et- was bläulich schimmernden Magermilch, genannt Schleudermilch, begnügen mussten. Echten Kaffee gab es kaum mehr, sondern meist Ersatzmischungen aus Zichorie und zerriebenen Eicheln. Auf den Packungen einer Kaffeefirma stand die zweideutige Werbung „Im Linde ist schon alles drin.“ So wurde das dünne und nur durch die Farbe an Kaffee erinnernde Getränk in Wien bald ab- fällig als „Negerschweiß“ bezeichnet.1 Mein älterer Bruder musste schon im Jahre 1940 zu den Heimabenden der Hit- lerjugend gehen. Falls er einmal einen wöchentlichen Heimabend schwänzte, 1 Eine solche Bezeichnung könnte heute fehlinterpretiert werden, war damals aber sehr geläufig und soll daher aus Gründen der Vollständigkeit nicht unerwähnt bleiben.
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Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
Titel
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Untertitel
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
Autor
Othmar Nestroy
Herausgeber
Technischen Universität Graz
Verlag
Verlag der Technischen Universität Graz
Ort
Graz
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-85125-741-0
Abmessungen
20.0 x 25.0 cm
Seiten
120
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Einstimmung 8
  2. Einleitung 11
  3. Politische Propaganda 13
  4. Spiel und Sport 19
  5. Der Krieg wird spürbar 23
  6. Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
  7. Privater und öffentlicher Verkehr 32
  8. Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
  9. Der totale Krieg beginnt 47
  10. Die Front rückt näher 57
  11. Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
  12. Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
  13. Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
  14. Nachklang 93
  15. Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
  16. Ausklang 115
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