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kam am selben Abend der Gruppenführer zu uns in die Wohnung und fragte
barsch nach dem Grund des Fernbleibens, diese Sache konnte für uns alle sehr
unangenehm werden.
Mit Fortschreiten des Krieges war im privaten Wohnraum nur eine 40 Watt-
Lampe gestattet, die Verdunkelung aller Räume bei Nacht wurde vorge-
schrieben und die Raumtemperatur in der Heizperiode auf 18° C limitiert. Un-
sere Wohnung besaß, was die Regel war, keine Zentralheizung, sondern nur
mit Kohle beheizbare Kachelöfen in jedem Zimmer. Unser Kontingent waren
1.000 kg Steinkohle pro Jahr – wir froren fast während des gesamten Win-
ters. Für weitere Heizzwecke und zum Kochen stand das (giftige) Stadtgas
zur Verfügung und in der geräumigen Küche befand sich noch ein alter und
ausgebrannter Kohlenherd, der uns aber nach dem Krieg wertvolle Dienste
leisten sollte. Da man aus dem akuten Mangel an Heizmaterial eine Tugend
machte, wurde von den Hausruinen alles Brennbare „organisiert“, nach Hause
geschleppt, zersägt und kleinweise verbrannt. Geschätzt waren die mächti-
gen Dippelbäume. Das waren die deckentragenden Elemente in alten Häusern,
die jahrzehntelang ausgetrocknet waren und lange eine wohlige Wärme spen-
deten. Um auch Kleinholz zu verwerten, wurde dem Ofentürl der alten Kachel-
öfen ein kleiner runder Metallofen, der sogenannte Hausfreund, vorgestellt
und angeschlossen, der, selbst nur mit Spänen gespeist, eine warme Mahlzeit
ermöglichte. Um Energie zu sparen und trotzdem zu einem warmen Essen zu
gelangen, wurden Kochkisten propagiert. Dies waren mit Textilien gut isolierte
Holzkisten bis zu einem Kubikmeter Volumen, in die die vorgewärmten Spei-
sen hineingestellt wurden, um über Stunden zu garen. Zur gewünschten Zeit
waren diese dann mit einem sehr geringen Energieaufwand essfertig.
Die Straßen waren kaum beleuchtet, nur an den Kreuzungen brannte eine
Lampe, die Fenster von Straßenbahnen und den Zügen waren grün angestri-
chen und nur ein schmaler, frei gebliebener Streifen in Augenhöhe gestatte-
te eine Orientierung. Die Polizei kontrollierte die vollständige Verdunkelung.
Einmal hatten wir am Abend vergessen, die aus dickem, grünen Packpapier
bestehenden Rollos herunterzulassen, und schon klingelte ein Polizist an der
Wohnungstür und machte uns auf dieses Vergehen aufmerksam; es blieb bei
einer Verwarnung.
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Titel
- Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
- Untertitel
- Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Autor
- Othmar Nestroy
- Herausgeber
- Technischen Universität Graz
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-741-0
- Abmessungen
- 20.0 x 25.0 cm
- Seiten
- 120
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einstimmung 8
- Einleitung 11
- Politische Propaganda 13
- Spiel und Sport 19
- Der Krieg wird spürbar 23
- Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
- Privater und öffentlicher Verkehr 32
- Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
- Der totale Krieg beginnt 47
- Die Front rückt näher 57
- Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
- Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
- Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
- Nachklang 93
- Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
- Ausklang 115