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Neben diesen Kraftfahrzeugen waren auch viele Wägen mit Pferden unter-
wegs. Ich erinnere mich an die weiß-blau gestrichenen und von einem Pferd
gezogenen, hölzernen Wägen der Ankerbrotwerke, die Bierwägen (mit Holz-
fässern) der Brauerei Schwechat, mit schweren Pinzgauern bespannt, die He-
fewägen der Firma Mautner-Markhof, die das Stadtbild ergänzten, ohne durch
die geringe Geschwindigkeit den ohnedies schwachen Verkehr zu beeinträch-
tigen. Es war allgemein bekannt, dass im Winter – und nicht nur im Winter – die
Kutscher der Bierwägen bei jeder „Haltestelle“ einen kräftigen Schluck „zur
Brust nahmen“ – das beste Mittel gegen Durst bei Hitze und Verkühlung bei
Kälte. Die Pferde blieben ja nüchtern und – so sagt man – fanden selbst den
Weg zurück in den heimatlichen Stall.
Nach dem Krieg war die Schneeräumung der Straßen eher bescheiden. Oft
wurde die Bevölkerung aufgerufen, selbst Hand anzulegen und eine Stra-
ßenhälfte zu räumen, oder es fuhren schwere Lastwägen mit angehängten
Schneepflügen durch die Hauptverkehrsstraßen, oder auch Straßenbahnen
mit gezogenen Räumgeräten auf Schienenstraßen. Eine Salzstreuung kam
erst lange nach Kriegsende auf.
Hauptverkehrsträger in Wien waren aber die Straßenbahn, die Stadtbahn, die
Autobusse und die Eisenbahn.
Die Typen der Straßenbahngarnituren erfuhren während des Krieges kaum ei-
nen Neuzugang, sieht man von dem gegen Ende des Krieges neu in den Dienst
gestellten „Heidelberger“ auf der Linie 58 ab.
Es war beachtlich, wie lange die Garnituren die hohen Belastungen und auch
chronischen Überbelastungen ausgehalten haben, denn um das Kriegsende
und vor allem nach dem Krieg hingen zu den Hauptverkehrszeiten Menschen-
trauben an den Garnituren. Nur dank der soliden Bauweise konnten die veral-
teten Garnituren diese Überbelastung über Jahre verkraften.
Der erste Beiwagen war übrigens immer – heute kaum mehr vorstellbar – ein
Raucherwagen und in jedem Beiwagen fuhr ein Schaffner mit (Schaffnerinnen
gab es kaum), der nicht nur Fahrkarten verkaufte und mit einer Lochzange die
Fahrkarten zwickte, sondern auch über eine Zugglocke das Zeichen zur Abfahrt
gab. Vergnüglich war es, auf den offenen Plattformen der Beiwägen auf den Lini-
en 38 und 71 zu fahren. Vor allem die offenen Plattformen des 38er waren nach
einem ausgedehnten Heurigenbesuch in Grinzing ein begehrtes Plätzchen.
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Titel
- Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
- Untertitel
- Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Autor
- Othmar Nestroy
- Herausgeber
- Technischen Universität Graz
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-741-0
- Abmessungen
- 20.0 x 25.0 cm
- Seiten
- 120
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einstimmung 8
- Einleitung 11
- Politische Propaganda 13
- Spiel und Sport 19
- Der Krieg wird spürbar 23
- Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
- Privater und öffentlicher Verkehr 32
- Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
- Der totale Krieg beginnt 47
- Die Front rückt näher 57
- Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
- Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
- Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
- Nachklang 93
- Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
- Ausklang 115