Seite - 44 - in Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten - Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
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44 Glücklicherweise hatten wir in Wien meist nur Tagesangriffe und kaum – wie
im übrigen Deutschen Reich – Angriffe in der Nacht. Die wenigen Angriffe, die
wir in der Nacht erleben mussten, lösten noch mehr Angst aus. Als ich abends
zu Bett ging, wusste ich nicht, ob ich am Morgen noch leben würde. Schon
beim Schlafengehen richtete ich meine Unterwäsche und Kleider in schönster
Ordnung her, damit ich dann bei Alarm im ersten Tiefschlaf, so meist gegen
Mitternacht, schlaftaumelig schnell in diese hineinschlüpfen und in den kalten
Keller gehen konnte. Die Zeit war für diese Vorbereitungen zwar etwas länger,
doch der „Feuerzauber“ am nächtlichen Himmel, gezeichnet vom Mündungs-
feuer der Flak, den zerberstenden Granaten am Himmel und den explodieren-
den Bomben, war umso beängstigender. Meist saßen wir dann einige Stunden
im kalten Keller, dann ging es zurück in die Wohnung und wir hielten Nach-
schau, ob noch alles vorhanden war. Selbstverständlich stand ich am Morgen
zur normalen Zeit auf und ging zur Schule, mein Vater ins Büro – das Leben
ging weiter, weil es weitergehen musste.
Der Luftschutzkeller war somit der Treffpunkt bei Tag und bei Nacht. Ein Arzt,
der in unserem Hause wohnte und seine Ordination hatte, kam immer mit einer
hellen, mittelgroßen Holzkiste in den Keller, die er nie aus den Augen ließ. Sie
dürfte ziemlich schwer gewesen sein und war für uns etwas geheimnisvoll. Wir
haben nie etwas über ihren Inhalt erfahren.
Die Abstände der Bombenangriffe verdichteten sich, die Bomben kamen im-
mer näher an das Stadtzentrum, nichts blieb verschont. Wir ahnten schon an
einem wolkenlosen Tag, dass bald die Bomber kommen würden. So ertönte zu-
erst der Kuckuck, dann heulten im Schwellenton die Sirenen und dann dauerte
es nicht mehr lange, bis der enervierende Motorenlärm von Hunderten Bom-
bern den Himmel erfüllte. Diese flogen in rund 10.000 m Höhe und waren kaum
mit der Flak erreichbar – und die wenigen heimischen Jäger hatten gegenüber
den bestens bewaffneten und mit rund zehn Mann besetzten Superfestun-
gen nur geringe Chancen. Anfangs war die Kommandomaschine noch durch
einen braunen Streifen um den Rumpf gekennzeichnet („Bauchbinde“), doch
wurde bald davon Abstand genommen, da diese Flugzeuge zum bevorzugten
Abschussobjekt für die deutschen Jäger wurden.
Nach dem Fall der Rommel-Front in Nordafrika im Mai 1943 starteten die
Bomber – soweit ich weiß – im Raum Bari. Bald nach der Ansage im Rundfunk:
„Kampfverband im Anflug auf Kärnten – Steiermark“, ertönte der Kuckuck und
oft auf die Minute genau um 10:36 Uhr gab es Fliegeralarm für Wien: „Schwere
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Titel
- Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
- Untertitel
- Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Autor
- Othmar Nestroy
- Herausgeber
- Technischen Universität Graz
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-741-0
- Abmessungen
- 20.0 x 25.0 cm
- Seiten
- 120
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einstimmung 8
- Einleitung 11
- Politische Propaganda 13
- Spiel und Sport 19
- Der Krieg wird spürbar 23
- Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
- Privater und öffentlicher Verkehr 32
- Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
- Der totale Krieg beginnt 47
- Die Front rückt näher 57
- Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
- Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
- Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
- Nachklang 93
- Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
- Ausklang 115