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50 Zur ersten Feuerbekämpfung musste bei jeder Wohnungstüre eine Feuerpat-
sche, ein Kübel mit Wasser und Löschsand, bereitgestellt sein. Auch die Ba-
dewanne musste mit Wasser für Löschzwecke gefüllt sein. Im gegebenen Fall
sollte mit der nassen Feuerpatsche ein beginnender Brand gelöscht werden.
Durch Filme, Flugblätter und Kurse wurden wir darüber instruiert.
Kunstgeschichtlich bedeutende Denkmäler wurden in Wien durch eine mas-
sive Ziegelmauer geschützt und in den größeren Parkanlangen in der Innen-
stadt wurden große Löschteiche angelegt, um nach Bombenangriffen über
genügend Löschwasser verfügen zu können.
Eine große, vor allem psychische Gefahr waren Blindgänger oder Zeitzünder.
Manche Bomben explodierten nicht und blieben als Blindgänger liegen. Nach
ihrer Entdeckung wurde das Gebiet abgeriegelt und eine Spezialtrupp – man
sprach gerüchteweise von Strafgefangenen – entschärfte die Bombe. Die
Nerven aller waren zum Zerreißen gespannt. Ähnlich war es auch bei Zeitzün-
dern, das waren Bomben, die durch einen speziellen Mechanismus erst nach
einer bestimmten Zeit explodierten. Hier ging es um den unberechenbaren
Wettlauf mit der Zeit und darum, den Zünder zu finden und zu entschärfen. Wir
selbst haben während eines Besuches bei meiner Tante in der Bechardgasse
diesen Nervenkrieg mitmachen müssen. Die Hausbewohner wurden plötzlich
evakuiert, durften nur das Notwendigste aus der Wohnung mitnehmen und
mussten in einer Notunterkunft warten, bis die Zeitzünderbombe entschärft
war. Nicht in allen Fällen gelang dies ohne Unfälle.
Eines der am stärksten durch Bomben zerstörten und ausgebrannten Stadtge-
biete war das sogenannte Fasanviertel im 3. Bezirk. Lange standen dort die zu-
sammenfallenden Hausruinen als stumme Zeugen von mehreren Brandnächten.
Meldungen über das Flammeninferno in Dresden in den Nächten des 13. bis 15.
Februar 1945 sickerten nur als bruchstückhafte Gerüchte durch, etwa dass
Tausende Menschen, meist Flüchtlinge aus den Ostgebieten, entweder in den
Kellern infolge Sauerstoffmangels erstickt, oder, festgehalten vom erhitzten
und zähflüssigen Asphalt, als menschliche Fackeln verbrannt waren.
Erst viel später erfuhr ich, dass in der von aus dem Osten hereinströmenden
Flüchtlingen überfüllten Stadt rund 25.000 Menschen in diesen Brandnächten
gestorben waren. Ich halte diese Angabe für stark untertrieben.
Von so schweren Nachtangriffen sind wir in Wien gottlob verschont geblieben.
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Titel
- Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
- Untertitel
- Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Autor
- Othmar Nestroy
- Herausgeber
- Technischen Universität Graz
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-741-0
- Abmessungen
- 20.0 x 25.0 cm
- Seiten
- 120
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einstimmung 8
- Einleitung 11
- Politische Propaganda 13
- Spiel und Sport 19
- Der Krieg wird spürbar 23
- Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
- Privater und öffentlicher Verkehr 32
- Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
- Der totale Krieg beginnt 47
- Die Front rückt näher 57
- Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
- Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
- Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
- Nachklang 93
- Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
- Ausklang 115