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52 anzusiedeln ist, so teils noch in der Kaiserzeit, teils in der (guten alten) Sys-
temzeit, die GAS der Ersten Republik.
Diese Zeit war auch eine gewisse (Schein-)Blüte des österreichischen Films.
In den Ateliers Schönbrunn und Sievering wurden zahlreiche Filme heimischer
Prägung gedreht, um die Bevölkerung bei Stimmung zu halten wie auch als
Ventil gegen das Regime zu dienen. Somit waren, wie ich viel später erfuhr,
auch diese Produktionen ein von Berlin gesteuertes Propagandamittel.
Willy Forst drehte in den letzten Kriegstagen und schon zwischen Flieger-
alarmen den (späteren) Filmklassiker „Wiener Mädel“ mit Schauspielern des
Burgtheaters und vielen Aufnahmen im Wiener Prater. Da schon die Bomben
fielen, wurden jeweils per Radio die Statisten verständigt und an den Drehort
beordert, wenn das Wetter für Freiluftaufnahmen günstig war und die letzten
Zerstörungen durch Bomben rechtzeitig kaschiert werden konnten. Der Film
konnte noch in den letzten Kriegstagen als Rohfassung fertig gestellt wer-
den, Willy Forst hat ihn dann nach Kriegende selbst geschnitten und bald kam
es zur vielbejubelten Premiere dieses Farbfilms.
Einschneidend für unser Familienleben war die Zwangseinquartierung von
einem Ehepaar mit ihrer Mutter in unserer Wohnung. Wir hatten eine große
Wohnung und zwei große Zimmer waren schon lange vorher für eine eventuel-
le Zwangseinquartierung von Bombengeschädigten registriert worden. Eines
Sonntagnachmittags erschien unangekündigt ein Uniformierter mit drei Per-
sonen, einem Ehepaar mittleren Alters und der Mutter der Gattin, bei uns in
der Wohnung und die drei uns bisher unbekannten Personen bezogen die Zim-
mer, kamen dann mit einigen Habseligkeiten nach und richteten sich – soweit
dies ging – häuslich ein. Die Situation war logischerweise kühl-gespannt, denn
plötzlich waren familienfremde Personen nicht nur in Teilen der Wohnung, son-
dern benützten auch die Küche, das Badezimmer und die Toilette. Wir waren
alle gedrückt und leicht verzweifelt, vor allem meine Mutter.
Glücklicherweise kamen wir bald ins Gespräch und es stellte sich ein guter
Kontakt ein, man fand zeitliche Kompromisse für die Benützung der gemein-
samen Räume – es entwickelte sich aus der Bekanntschaft dann eine Freund-
schaft, die über Jahre andauern sollte. Ich kann mich nicht mehr erinnern, nach
wie vielen Monaten oder Jahren diese Familie wieder ihre ursprüngliche Woh-
nung beziehen konnte, doch durch gegenseitige Besuche wurde diese Freund-
schaft lange gepflegt.
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Titel
- Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
- Untertitel
- Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Autor
- Othmar Nestroy
- Herausgeber
- Technischen Universität Graz
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-741-0
- Abmessungen
- 20.0 x 25.0 cm
- Seiten
- 120
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einstimmung 8
- Einleitung 11
- Politische Propaganda 13
- Spiel und Sport 19
- Der Krieg wird spürbar 23
- Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
- Privater und öffentlicher Verkehr 32
- Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
- Der totale Krieg beginnt 47
- Die Front rückt näher 57
- Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
- Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
- Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
- Nachklang 93
- Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
- Ausklang 115