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Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten - Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
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59 Meine Mutter eilte Anfang April per Badner-Bahn in das rund 26 km südlich von Wien gelegene Baden, wo ihre Mutter, meine Großmutter, in der Pension Cor- tella lebte. Es gelang ihr nicht, sie zu überreden, mit in die Wohnung nach Wien zu kommen – meine Großmutter blieb in dieser Pension und hat dort auch die Front einigermaßen gut überlebt. Später erzählte sie, dass die Soldaten der Ro- ten Armee sie in ihrem Zimmer „besucht“ und Schmuck wie Uhren verlangt hat- ten. Als sie einen Armreif anbot, der goldfarben war, hatte der Soldat dies so- fort erkannt und den Armreif mit dem Ausruf „Blech!“ zu Boden geschleudert. Auf fast abenteuerliche Weise gelang es dann meiner Mutter, zum Teil wie- derum per Badner-Bahn, zurück nach Wien in die Wohnung zu gelangen. Da die Bahn bereits unterbrochen und viele Heeresfahrzeuge unterwegs nach Norden in Richtung Wien waren, wurde sie durch Autostoppen und gutes Zu- reden auf Teilstrecken von Heeresfahrzeugen mitgenommen, bis sie dann in Wien das letzte Stück zur Wohnung mit der Straßenbahn zurücklegen konnte. Gleich darauf wollte sie ein Interurbangespräch nach Baden anmelden, um ih- rer Mutter von der guten Heimkehr zu berichten, doch das Fräulein vom Wähl- amt teilte ihr mit, dass die Leitung nach Baden unterbrochen sei, da die Rote Armee im Raum von Wiener Neustadt stehe und Panzerspitzen den Raum Ba- den bereits erreicht hätten. Eines der letzten Plakate, die in ganz Wien affichiert wurden, lautete: „Wien ist zur Festung erklärt worden. Frauen und Kindern wird empfohlen, die Stadt zu verlassen.“ Nur womit und wohin, das konnte uns niemand sagen. Es waren immer weniger Menschen auf den Straßen zu sehen und die öffentli- chen Vergnügungsstätten wie Kinos und Theater hatten längst geschlossen. Wir übersiedelten für die kommenden Tage und Wochen in den Luftschutzkel- ler. Für zwei Personen wurde ein Bett, das von der eigenen Wohnung mitge- bracht wurde, zugeteilt und nur für die Zubereitung der kargen Mahlzeit und für das Essen eilte man in die Wohnung. Ansonsten saß man einigermaßen ge- schützt im Keller um den Radioapparat. Es gab noch einige Genossen, die vom Endsieg, von V1 und V2 und der „Wunderwaffe“8 faselten. Man hörte ihnen mit halbem Ohr zu und war vorsichtig mit den Kommentaren. Die Kriegspropagan- da lief bis zum Schluss auf vollen Touren, doch war sie mehr und mehr von Durchhalteparolen durchsetzt. Die letzte offizielle Frontmeldung, die uns im Luftschutzkeller per Drahtfunk erreichte, berichtete vom Fall von Budapest und dem Vormarsch der Roten Armee in Richtung Plattensee – doch wenige Tage später waren die Soldaten der Roten Armee schon in unserer Straße. 8 V-Waffen oder Vergeltungswaffen wurden von den Nationalsozialisten als Mittel propagiert, im Krieg die große Wende herbeizuführen. Als ultimative „Wunderwaffe“ galt die Atombombe.
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Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
Titel
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Untertitel
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
Autor
Othmar Nestroy
Herausgeber
Technischen Universität Graz
Verlag
Verlag der Technischen Universität Graz
Ort
Graz
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-85125-741-0
Abmessungen
20.0 x 25.0 cm
Seiten
120
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Einstimmung 8
  2. Einleitung 11
  3. Politische Propaganda 13
  4. Spiel und Sport 19
  5. Der Krieg wird spürbar 23
  6. Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
  7. Privater und öffentlicher Verkehr 32
  8. Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
  9. Der totale Krieg beginnt 47
  10. Die Front rückt näher 57
  11. Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
  12. Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
  13. Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
  14. Nachklang 93
  15. Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
  16. Ausklang 115
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