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Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten - Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
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67 Es wurde besser, aber nur sehr, sehr langsam. Man gewöhnte sich an die be- grenzten sanitären Einrichtungen, das Tröpfeln von Wasser aus dem Wasser- hahn und die Gespräche drehten sich um die Frage, wo man vielleicht etwas zu essen bekommen könnte. Ich kann nicht mehr sagen, womit wir uns in dieser Zeit ernährt haben. Wir waren alle stark abgemagert, meine Mutter hatte seit Beginn des Krieges rund ein Drittel ihres Gewichts verloren – sie brach einmal in der Toilette zusammen („Mir wurde plötzlich Schwarz vor den Augen.“) –, mein Vater, ein leptosomer Typ wie ich, verlor auch viel an Gewicht und ich hatte Ruhr und war mehr als schlank. Wir waren so schwach, dass wir uns beim Gehen an der Hausmauer mit einer Hand abstützen mussten und vor den kaum frequentierten Kreuzungen innehielten, um die nötige Kraft für das Überqueren der Straße zu sammeln. Jahre später, als ich schon in der 6. Klasse Mittelschule war, textete ein Schulkollege für den Sitzplan in der Klasse unter Bezugnahme auf meine Statur: „Othmar Nestroy, das Skelett, wird im Leben niemals fett.“ Er sollte recht behalten. Die erste Gruppe von Soldaten durchsuchte alles, vor allem nach deutschen Of- fizieren, weiter wurde aber auch alles, was nicht niet- und nagelfest war, „orga- nisiert“. Daran waren auch Einheimische beteiligt, die sich die aufgebrochenen Läden und Keller zunutze machten und sich an diesen Aktionen beteiligten. Bei diesen Durchsuchungen stießen die Soldaten auch auf zoologische Präpa- rate, die vom Theresianum, ehemals NAPOLA, in den Keller der Paulanerkirche verlagert worden waren. Einige Präparate waren in Glaszylindern auf senk- rechten Milchglas- oder Porzellanscheiben mit Drähten befestigt. Die Zylinder waren üblicherweise mit Spiritus gegen die Austrocknung der Präparate ge- füllt. Diese bräunliche Flüssigkeit erregte bei vielen Besatzungssoldaten ein besonderes Verlangen und nach Abschlagen des Zylinderkopfes wurde der „veredelte“ Brennspiritus in einen anderen Hohlraum umgefüllt. Sehr bald nach Kriegsende begann eine Naturalienwirtschaft, die bald selt- same Blüten trieb. Interessanterweise war einer der ersten Umschlagplätze der Resselpark, das kleine Geviert zwischen der Evangelischen Schule und der Wiedner Hauptstraße im Bereich des Karlsplatzes, der bis heute seinen spe- ziellen Reiz für offiziöse Handlungen nicht verloren hat. Soldaten der Besat- zungsmacht wie Einheimische fanden bald Kontakt und der Schleichhandel begann sich zu etablieren. Woher die Waren kamen, kann ich nicht sagen. Ich
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Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
Titel
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Untertitel
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
Autor
Othmar Nestroy
Herausgeber
Technischen Universität Graz
Verlag
Verlag der Technischen Universität Graz
Ort
Graz
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-85125-741-0
Abmessungen
20.0 x 25.0 cm
Seiten
120
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Einstimmung 8
  2. Einleitung 11
  3. Politische Propaganda 13
  4. Spiel und Sport 19
  5. Der Krieg wird spürbar 23
  6. Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
  7. Privater und öffentlicher Verkehr 32
  8. Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
  9. Der totale Krieg beginnt 47
  10. Die Front rückt näher 57
  11. Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
  12. Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
  13. Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
  14. Nachklang 93
  15. Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
  16. Ausklang 115
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