Seite - 82 - in Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten - Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
Bild der Seite - 82 -
Text der Seite - 82 -
82 Wenn ich mich recht erinnere, stammt das Lied „Stell‘ dir vor, es geht das Licht
aus…“, das von Maria Andergast und Paul Hörbiger in einem Heurigenkeller ge-
sungen wurde, aus dem Filmklassiker „Hallo Dienstmann“, gedreht 1952. Die-
ser Text war aber keineswegs eine Anregung oder Aufforderung für ein amou-
röses Küsschen im Finstern, sondern beschrieb nur die nackte Realität, dass
wir in Wien nur stundenweise elektrischen Strom hatten und solche plötz-
lichen Unterbrechungen oder sogar ein Zusammenbruch des Bundeslastver-
teilers zum Tagesgeschehen gehörten und nicht den Anlass für erfrischende
„Zwischenspiele“ boten.
Die Zeit war ernst, aber nicht trostlos. Vielleicht hat die Tatsache, dass die
Generation meiner Eltern zwei Mal einen Umbruch miterleben musste – einmal
in ihrer Jugendzeit, nun in reiferen Jahren –, dazu beigetragen, dass sie das
Geschehene leichter verkraften konnten. Doch die Unterschiede waren groß.
Nach der Monarchie war ein Kaiserreich zu Ende gegangen, von Österreich war
rund ein Achtel übriggeblieben, eine Reichsidee war zerbrochen und ein Frie-
densdiktat unter Protest angenommen worden. Man hatte nicht an die Le-
bensfähigkeit Rest-Österreichs geglaubt. Die Not nach dem Ersten Weltkrieg
war eine psychische wie auch physische gewesen. Der Feind war zwar nicht im
Lande gewesen, der Hunger nicht so groß, doch es hatte an allem gemangelt:
Es hatte keine Hilfe aus dem Ausland gegeben, weder Rohstoffe noch Kunst-
stoffe, um Dinge für das täglich Leben haltbar zu erzeugen. So erzählten mir
die Eltern, dass man bei Regen sich kaum auf die Straßen wagen konnte, weil
sich die Schuhe bei Feuchtigkeit einfach aufgelöst hatten. Dazu hatte einfach
der Glaube an ein Überleben Österreichs gefehlt.
Im Zweiten Weltkrieg hatten die Alliierten nun kämpfend große Teile unseres
Landes erobert, viele Objekte waren durch Bomben und die Frontkämpfe zer-
stört worden, doch eine positive Aufbruchsstimmung ließ alle wieder Hand
anlegen und ohne Auftrag „von oben“ den Schutt auf der Straße und in den
Wohnungen wegräumen, die Glasscherben aufkehren und, soweit es eben
ging, alles flicken und ausbessern.
Zwar fehlte es an Nahrungsmitteln und Baumaterial, doch langsam wurde es
allgemein besser.
Große Hilfen kamen uns aus dem Ausland entgegen: So die UNRA-Hilfe von
Amerika, der Marshallplan für den Wiederaufbau, der eine sehr positive Lang-
zeitwirkung für die gesamte Wirtschaft des Landes hatte, Hilfe von anderen
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Titel
- Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
- Untertitel
- Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Autor
- Othmar Nestroy
- Herausgeber
- Technischen Universität Graz
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-741-0
- Abmessungen
- 20.0 x 25.0 cm
- Seiten
- 120
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einstimmung 8
- Einleitung 11
- Politische Propaganda 13
- Spiel und Sport 19
- Der Krieg wird spürbar 23
- Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
- Privater und öffentlicher Verkehr 32
- Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
- Der totale Krieg beginnt 47
- Die Front rückt näher 57
- Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
- Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
- Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
- Nachklang 93
- Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
- Ausklang 115