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Ländern wie der Schweiz und Schweden, CARE-Pakete für die Familien und
auch die Schülerausspeisungen vom Schweizerischen Roten Kreuz. Diesen In-
stitutionen sei an dieser Stelle nochmals Dank zum Ausdruck gebracht. Aus
Überzeugung darf ich beifügen, dass unser gegenwärtiger Wohlstand und
Reichtum neben diesen großzügigen Starthilfen aus dem Ausland auch das
Ergebnis der produktiven Arbeit aller Staatsbürger und -innen ist, die nahezu
ohne Streik kontinuierlich ihren Beitrag zum Wiederaufbau geleistet haben.
Der Unterricht in der Mittelschule in den ersten Jahren nach dem Umbruch lief
etwa derart ab, dass wir morgens in die Klassen kamen, die in den ersten Jah-
ren nach dem Umbruch keine Fensterscheiben, keine Heizung und kein elektri-
sches Licht hatten – wir saßen im Mantel in den Holzbänken. Rasch wurden die
Aufgaben der letzten Stunde korrigiert und bewertet, dann die für die nächste
Stunde diktiert – in der Unterrichtssprache, wie es damals hieß, denn Deutsch
war nicht erlaubt. In Geografie hatten wir z.B. keine Atlanten, da diese noch
auf das Deutsche Reich ausgerichtet und deshalb verboten waren. So wurden
vom Geografieprofessor die einzelnen Seiten aus den Atlanten vorsichtig he-
rausgelöst, um „scheibchenweise“ geografische Grundkenntnisse vermitteln
zu können.
Schulbücher gab es aus Papiermangel nur sehr wenige und nur über die Schü-
lerlade konnte man einige für das betreffende Jahr ausborgen und musste sie
dann wieder zurückgeben. Außerdem gab es kaum Hefte. Das Papier war so
schlecht, dass die Tinte darauf zerrann und ein Ausbessern unmöglich war.
Hausaufgaben, namentlich Übersetzungsübungen, teils handgeschrieben,
teils maschingeschrieben, wurden in vielen Fällen hektografiert oder als Blau-
pausen verteilt, physikalische oder chemische Übungen oder gar Experimente
waren kaum möglich. Dank des großen persönlichen Engagements der Lehrer
haben wir in dieser beklemmenden Zeit viel, nicht nur als Lernstoff, sondern
fürs Leben, gelernt. So ist mir ein Satz von unserem Mathematiklehrer noch im
Ohr: „Wer behauptet, er hat sich noch nie verrechnet, der hat noch nie gerech-
net.“ Dieser Satz hat mir in manchen Situationen wohl getan. Da der Turnsaal
durch Bombenschäden unbenutzbar war, wurde der Turnunterricht bei Schön-
wetter im Hof abgehalten, bei Schlechtwetter in der Klasse. In der warmen
Jahreszeit fand der Turnunterricht mehrmals nachmittags auf der Birkenwiese
statt. Dies war eine einigermaßen wieder instandgesetzte Sportstätte, nur
funktionierten die Brausen nicht und man musste dann verschwitzt wieder
die lange Heimfahrt in der Straßenbahn antreten. Es war, falls ich mich recht
erinnere, 1951 schon möglich, eine erste, von der Schule organisierte Land-
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Titel
- Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
- Untertitel
- Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Autor
- Othmar Nestroy
- Herausgeber
- Technischen Universität Graz
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-741-0
- Abmessungen
- 20.0 x 25.0 cm
- Seiten
- 120
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einstimmung 8
- Einleitung 11
- Politische Propaganda 13
- Spiel und Sport 19
- Der Krieg wird spürbar 23
- Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
- Privater und öffentlicher Verkehr 32
- Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
- Der totale Krieg beginnt 47
- Die Front rückt näher 57
- Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
- Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
- Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
- Nachklang 93
- Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
- Ausklang 115