Seite - 112 - in Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten - Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
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112 Ab 1966 war Franz Allmer auch im Universitätsbereich als Lehrbeauftragter
bzw. Universitätslektor bis zu seinem Unfalltod im Jahre 2008 tätig.
Was aber hier aus seinem langen und bewegten Leben angesprochen werden
soll, sind die rund 1000 Tage aus der Sicht eines Sanitätswagenfahrers, die
tägliche Konfrontation mit Tod, Angst, Grausamkeiten und unmenschlichen
Zuständen, die er minutiös in seinen Tagebüchern an der Front in Stenogramm
festgehalten hat. Diese schickte er seiner Frau – keines ging auf Feldpostwege
verloren –, um dann nach der Gefangenschaft die stenographierten Eintragun-
gen selbst zu transliterieren. So erlaubt dieses faszinierende Zeitdokument
trotz oder gerade wegen der hohen Sachlichkeit einen erschütternd-beklem-
menden Einblick in das kaum fassbare Geschehen an der Front, namentlich der
rund 1000 Tage dauernden Belagerung von Leningrad.
Als Sanitäter genoss Franz Allmer nicht das vermeintlich ruhigere Leben in
der Etappe, sondern musste mehrmals direkt an die HKL, oft sogar unbewaff-
net über die Frontlinie hinweg, um Verwundete aus Feindesland zu holen und
unter Lebensgefahr in das Lazarett zu bringen. So wurde er auch mehrmals
verletzt und nahm, durch Dauereinsatz oft an der Grenze seiner Kräfte, verbo-
tenerweise selbst „organisierte“ Perventintabletten gegen die Müdigkeit ein.
Darüber hinaus musste er sein Sanitätsauto ständig, auch im eiskalten Win-
ter, einsatzbereit halten – ein bei der damaligen technischen Ausrüstung der
Fahrzeuge kaum erfüllbarer Auftrag. Falls der Wagen nicht einsatzfähig war
und ein Verwundeter nicht abtransportiert werden konnte, stand ein Kriegs-
gericht ins Haus. Im Winter war eine Fahrt auf den beinhart gefrorenen Pisten
relativ einfach, doch bei der Schneeschmelze wurde es kritisch, da es äußerst
schwierig war, auf den schlammigen Straßen die Spur zu halten und nicht ste-
cken zu bleiben.
Die Kriegswinter waren an der Grenze des Erträglichen. Am 12.1.1942 sank die
Temperatur auf -52° C. In den Baracken, in denen kaum die Temperatur in den
Plusbereich kam, waren Mitbewohner wie Wanzen, Läuse, und Mäuse in der
Größe von Ratten die kaum erträglichen Peiniger.
Draußen heulte der Sturm, die Baracken waren fast völlig eingeschneit.
Franz Allmer konnte sich infolge der beiden erfrorenen großen Zehen nur
humpelnd in umhüllenden Fetzen bewegen – und über allem heulten perio-
disch die Stalinorgeln.
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Titel
- Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
- Untertitel
- Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Autor
- Othmar Nestroy
- Herausgeber
- Technischen Universität Graz
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-741-0
- Abmessungen
- 20.0 x 25.0 cm
- Seiten
- 120
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einstimmung 8
- Einleitung 11
- Politische Propaganda 13
- Spiel und Sport 19
- Der Krieg wird spürbar 23
- Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
- Privater und öffentlicher Verkehr 32
- Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
- Der totale Krieg beginnt 47
- Die Front rückt näher 57
- Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
- Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
- Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
- Nachklang 93
- Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
- Ausklang 115