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Karolingisch
nisch kralj (ebenso kroatisch, tschechisch král, polnisch
król, russisch karol’/korol’). Seit 768 rex francorum Kö-
nig des fränkischen Reiches, seit der renovatio Romani
Imperii, der Erneuerung des weströmischen Kaisertums
(»karolingische Renaissance«) um 800 römischer Kaiser
imperator imperii. 788 wird das antifränkisch orientierte
Baivaria (→
Bagoaria) dem Reich Karls einverleibt
und der wegen angeblicher Fahnenflucht harisliz zum
Tod verurteilte bairische Fürst/Herzog Tassilo zu
Klosterhaft begnadigt († 796). Tassilos Frau Livt-
pirk/Luitperga (romanisch Desiderata) war Lan-
gobardin, eine der Töchter des langobardischen Kö-
nigs Desiderius. Ab 798 wird → Salzburg zu einer
eigenen Kirchenprovinz (Erzbistum) ausgebaut. Karl
beherrschte als Schrift- und Sprechsprache (am Hof)
Lateinisch. Seine Mutter- und Umgangssprache lingua
propria war nach deutscher Darstellung altfränkisch
bzw. »althochdeutsch«, nach französischer »altfranzö-
sisch« franzisch/francique. Er hat für die zahlreichen
scriptoria Normen für die Schreibweise des Latei-
nischen erlassen wie die karolingische Minuskel, eine
→ Schrift mit Kleinbuchstaben und Worttrennung,
sich aber auch für die Volkssprachen linguae vulgares,
linguae propriae eingesetzt. Im Konzil von Tours (813)
wird ausdrücklich das Predigen in rustica romana lingua
aut theotisca angeordnet.
In seiner Zeit sind zahlreiche Bauwerke entstanden.
Sie werden als karolingisch bezeichnet und somit litera-
turüblich dem Anfang »deutscher Architektur« und dem
»Deutschtum« zugeordnet. Gerade in der Architektur
spielt → Kontinuität eine oft unbemerkte, nicht thema-
tisierte Rolle : an die Stelle keltischer Heiligtümer wer-
den römische Tempel gebaut. Daraus werden seit dem
5. Jh. christliche Kirchen der Ladiner und Slowenen, die
von den karantanischen Weihbischöfen und Priestern
→ Virgils von Salzburg weiter benützt wurden. Zur
Zeit Karls des Grossen, im 8. und 9. Jh., wurden
manche um- oder neu gebaut, wobei das alte Bauma-
terial (Steine, Altäre, Säulen, Statuen) in den Neubau
integriert wurden. Die Benennung karolingisch beach-
tet nicht die Kontinuität eines Bauwerks und führt zu
unkorrekten Zeitbestimmungen. So ist z. B. die »karo-
lingische Torhalle« auf der Fraueninsel im → Chiemsee
augenfällig ein Denkmal römerzeitlicher, nicht karolin-
gischer Architektur. Ebenso das aus älteren Elementen
zusammengesetzte Portal der Kirche mit dem Dreikopf
(trinitas, triglav) als Säulenkapitelle (→ Inkulturation).
Zahlreiche Flechtwerke aus Stein in karantanischen Kir-
chen gehen auf frühchristliche Zeit zurück (→
Frühmit- telalterliche Kirchen in Kärnten/Koroška). Flechtwerke
(auch in der Buchmalerei) sind in der europäischen
Kunst weit verbreitet. Typologisch sind sie in Kärn-
ten/→ Karantanien mit denen in Norditalien (Aquileia,
Grado, Cividale, Ravenna), in Istrien, im dalmatinischen
Küstenland (Baška/Krk, Split) identisch. Es sind stilisti-
sche Elemente aus dem 6. bis 9. Jh., die weder mit Karl
dem Grossen noch einem entstehenden Deutschtum
zu tun haben. Die Kontakte Baierns und Karantaniens
mit den stark romanisierten Langobarden in Norditalien
sind ganz augenfällig. Die bairischen Fürsten Odilo
(Otello) und Tassilo (Tasello) haben ladinisch/friauli-
sche Namen. Zur Zeit Karls war übrigens in Baivaria
und Carantania Tassilo der große Gestalter und Klos-
tergründer mit seinem politischen Meisterwerk, dem
monasterium →
Kremsmünster (777) im Traungau, wo er
mit seinen Baiern mit dem im Traungau in der decania
sclavorum lebenden slawisch/slowenisch župan Physso
und den actores Taliup und Sparuna zusammentraf
(→
Rechtsinstitutionen). Man beachte auch die Orna-
mentik der frühchristlichen Martinskirche in Linz. Der
letzte karantanische Karantanerfürst hieß Etgar (von
vermutlich awarisch Otker/Otakar), ein im Traungau und
in der → Karantanischen Mark beliebt gewordener aris-
tokratischer Name : die Otakare von Styrapurk/Steyr.
In Karantanien/Kärnten beachtenswert sind über
30 literaturüblich karolingische Flechtwerksteine in
→ Millstatt (Milje), → Molzbichl (Molec), Moos-
burg/Možberk, → St. Peter am Bichl/Šentpeter na
Gori, Mariahof (Steiermark). Ebenso wie das Latei-
nisch/Ladinische (→ Altladinisch) sprachlich im Ka-
rantanerslowenisch fortlebt (christliche → Terminolo-
gie), leben auch frühchristliche/römische Elemente in
der Architektur und Kunst fort. Karolingisch ist keine
Zäsur in der Abfolge der architektonischen Kontinu-
ität, schon gar nicht im ursprünglich antifränkischen
Karantanien und Baivarien. Die Etikettierung mit
karolingisch führt zu einer inkorrekten Einschätzung
der Zeit und des Alters von Bauwerken und Kunst-
gegenständen. Der in der Kunstgeschichte ebenfalls
übliche Terminus romanisch wäre als nicht nationalis-
tisch dem Begriff karolingisch vorzuziehen. Viele sog.
»karolingische« Flechtwerksteine stammen nicht aus
der Zeit Karls der Grossen († 814), sondern aus
frühchristlichen »Vorgängerkirchen« der ladinischen
und slowenischen Bevölkerung (→ Frühmittelalterli-
che Kirchen in Kärnten/Koroška). Mit karolingisch sind
das ladinisch-slowenische Christentum und dessen
Kirchen falsch etikettiert. → Virgil († 784) hat laut
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 2 : J – Pl
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 502
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur