Seite - 963 - in Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Band 2 : J – Pl
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Oktroyierte Märzverfassung 1849
Verfassungen Österreichs →
Landesorganisierungskommission) das Staatswesen
an die Anforderungen einer industrialisierten Gesell-
schaft und zentralistischen Politik anpassten. Damit
wurde ein wesentlicher Schritt zur Überwindung des
Feudalsystems gemacht, ohne die grundsätzlichen
Machtverhältnisse infrage zu stellen, die auch nach der
Sistierung der Verfassung ihre grundsätzliche Gültig-
keit behielten. Im Zuge der Einrichtung der Gemisch-
ten Bezirksämter 1854 wurden Justiz und Verwaltung
in erster Instanz wieder zusammengeführt, das Ge-
richtswesen jedoch nicht mehr den ehemaligen Feudal-
herren übertragen.
Gemäß § 120 wurden auch im Dezember 1849
die in Abschnitt IX (§§ 77–83 O. M.) vorgesehenen
und im Wesentlichen gleichlautenden → Landesver-
fassungen erlassen, die, obwohl die landständischen
Verfassungen explizit außer Kraft gesetzt worden wa-
ren (§ 77 O. M.), mangels Durchführung von Wahlen
ebenso wenig umfassend wirksam werden konnten. Die
→
Wahlordnungen der Landtage und die Bestimmun-
gen für die Wahl zum Reichstag bzw. später zum Ab-
geordnetenhaus des Reichsrates hatten im Übrigen (bis
1907) ein ungleiches Zensuswahlsystem vorgesehen
sowie für die das Oberhaus beschickenden Landtage
zudem ein Kurienwahlsystem, das der Elite die Macht
garantieren sollte.
Adamovich/Funk weisen darauf hin, dass »nicht
alle revolutionären bzw. nachrevolutionären Errungen-
schaften von 1848 unter dem Neoabsolutismus besei-
tigt wurden«, so das Reichsgesetzblatt (und die Lan-
desgesetzblätter, Anm.) in den Landessprachen, die
Aufhebung des Untertanenverbandes und die Grun-
dentlastung sowie gewisse Strukturen der Gemeinde-
verfassungen. Andere wiederum sollten in der Folge
wieder an Relevanz gewinnen, so die Grundlagen der
Verwaltungsreform durch die Einrichtung der Bezirks-
hauptmannschaften und die Landtagswahlordnungen
mit dem Februarpatent von 1861 bzw. mit der Dezem-
berverfassung 1867 (vgl. dazu Stundner).
Für die slowenische Rechts- und → Kulturge-
schichte sind insbesondere drei ganz unterschiedliche
Aspekte dieses umfassenden Verfassungswerkes rele-
vant : die Bestimmung hinsichtlich der Gleichberech-
tigung der Völker in Zusammenhang mit dem Län-
derföderalismus sowie die Grundentlastung und deren
wirtschafts- und sozialpolitische Konsequenzen, wenn
auch etwa → Apih, wohl der österreichischen Lehre
folgend, die O. M. als »totgeborenes Kind« bezeich-
nete. § 5 der O. M. garantiert die formelle Gleichberech-
tigung der konstitutiven Völker innerhalb der histori-
schen Länder. Dies wird in den Landesverfassungen
jeweils in § 3 für das jeweilige Land wiederholt (§ 5
O. M.: »Alle Volksstämme sind gleichberechtigt, und
jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf
Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Spra-
che«, § 3 Kärntner landesverfassung/Koroška deželna
ustava : »Die im Lande wohnenden Volksstämme sind
gleichberechtiget, und haben ein unverletzliches Recht
auf Wahrung und Pflege seiner [sic !] Nationalität und
Sprache./U deželi prebivajoči narodi imajo jednako pravo
in uživajo nedotakljivo pravico za ohranjanje in oskerbo-
vanje svoje narodnosti in svojega jezika.«) (→
»Volks-
stamm«).
Den Slowenen wird demnach durch die O. M.
i. V. m. dem Reichs- und Landesgesetzblattpatent so-
wie i. V. m. § 3 der Landesverfassungen der Status ei-
nes konstitutiven Volkes zugestanden, das Slowenische
wird also insbesondere durch die Kundmachung des
Reichsgesetzblattes sowie der Landesgesetzblätter als
→ Landessprache gewürdigt. Ermacora weist jedoch
darauf hin, dass bereits im Zuge der Beratungen zum
Verfassungsentwurf der Zusatz zum Artikel über die
Gleichberechtigung »in Schule, Amt und öffentlichem
Leben« gestrichen wurde. Auch § 4 des Grundrechts-
patentes 1949, welcher die allgemeine Volksbildung
gewährleistet, besagt, dass auch »Volksstämme, wel-
che die → Minderheit ausmachen, die erforderlichen
Mittel zur Pflege ihrer Sprache und zur Ausbildung in
derselben erhalten«.
Hinsichtlich des föderalistischen Prinzips bzw. der
Stärkung des Länderföderalismus weisen Baltl und
Kocher darauf hin, dass diese Frage bereits bei den
Verhandlungen zum Kremsierer Verfassungsentwurf
(dem die O. M. in signifikanten Teilen folgte) politi-
sche Konflikte über die Stellung der einzelnen Länder
hervorgerufen hatte. Dabei weist Brauneder darauf
hin, dass das liberalistische Prinzip der Gleichheit nicht
nur auf den Einzelnen Anwendung fand, sondern sehr
rasch auf die Beziehung der Ethnien zum Gesamt-
staat sowie der Ethnien untereinander. Zu beachten
ist jedoch, dass das Instrumentarium der Representa-
tionsorgane Reichstag, Landtage und Gemeindever-
sammlungen »die Majorisierung von Minderheiten
zum Grundsatz« hat (Brauneder 2009 : 121). Durch
das erstarkte Selbstbewusstsein der Länder – und ihrer
Eliten – blieben nach dem Kremsierer Entwurf in der
Merhzahl der plurinationalen Länder mit traditionellen
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 2 : J – Pl
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 2 : J – Pl
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 502
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur