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Stauden durchwirkten blütenreichen Wiese macht und dort, wo sie eine größere Strecke
Landes überkleidet, auch als Wiese beuützt und gemäht wird. Ohne scharfe Grenze gehen
diese Fluren allmälig in die Grasmatten über, deren von unzähligen Gentianen,
Primeln, Baldrianen, Nelken und Orchideen durchsetztes Grundgewebe aus niederen,
rasigen, dicht zusammenschließenden grasartigen Gewächsen gebildet wird. Man kann nach
dem Vorherrschen der grundlegenden Arten vier solcher Grasmatten unterscheiden. Als
die verbreitetste ist jene anzusehen, in welcher der Alpenwindhalm und mehrere bnntährige
Schwingelarten den Ton angeben; eine beschränktere Verbreitung zeigt die Matte, in
welcher die Rasen der immergrünenden Segge vorherrschen: nur auf den Schieferbergen
der Centralalpen und Karpathen findet sich die Matte aus der gekrümmten Segge, der
dreitheiligen Simse und dem zweizeiligen Berggras, und ausschließlich auf dem Kalkboden
der eben genannten Hochgebirge die Matte, in welcher die steifblättrige Segge das
Grundgewebe bildet. Wo diese Matten auf die Stufen felsiger Abstürze übergehen, bilden
sie meist nur schmale Streifen und Bänder, die sich über den Steilwänden an den Stein-
gesimsen hinziehen, und dann erscheinen in der Grasnarbe neben mehreren anderen Felsen-
pflanzen auch die beiden Wahrzeichen der Alpenflora, die aromatische, silberig schimmernde
graue Edelrante und das weißsternige Edelweiß eingeschaltet. — Jahrhunderte mögen
vergehen, bis der von den Pflanzen dieser Matten aufgespeicherte Humus allmälig eine
solche Mächtigkeit erlangt, daß sich auf demselben die mit kleinen immergrünen Blättchen
nnd rosenrothen honigreichen Blüten geschmückte niederliegende Azalea ansiedeln kann.
Einmal angewurzelt, überwuchert aber diese zierliche Erieaeee in verhältnißmäßig kurzer
Zeit weite Strecken mit ihren auf den Boden hingestreckten Zweiglein, verdrängt schließlich
die Grasmatte und ersetzt dieselbe durch einen festgewebten bräunlichgrünen Teppich, in
dessen Maschen nur weiße und gelbe, starre humusbewohnende Flechten Platz finden,
der aber der Blütenmannigfaltigkeit der Grasmatten vollständig entbehrt. Dieser
Azaleenteppich entwickelt sich insbesondere auf den flachen oder sanft gewölbten Rücken
und Kuppen des Hochgebirges und bildet eine der wenigen Genossenschaften, welche die
alpine Flora mit der arktischen Flora gemein hat. Wo in diesen Teppichen die Flechten,
namentlich die isländische und die Renthierflechte überhandnehmen, bietet das Gelände
ganz und gar das Bild der Flechtentundra, jener merkwürdigen Formation, welche für
die hochnordischen Landschaften ebenso charakteristisch als wichtig ist. An felsigen nordseitigen
feuchten Gehängen erscheinen sehr regelmäßig kleine Weidenteppiche, die zwar wie die
Azaleenteppiche aus holzigen, dem Boden angeschmiegten Zweiglein gewirkt sind, aber
ähnlich dem früher erwähnten Weidengebüsch an den Bachufern und Geröllhalden ein
sommergrünes, im Herbste Vergilbeudes Laub tragen und immer nur beschränkte Fels-
partien überkleiden. An Stelle der Flechten sind hier niedere Moose und einige kleine
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, 1. Abteilung: Naturgeschichtlicher Teil, Band 2
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Übersichtsband, 1. Abteilung: Naturgeschichtlicher Teil
- Band
- 2
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.77 x 26.41 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch