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Verständigung mit Frankreich wünschten. Während also ein französisches Heer in die
Niederlande einbrach und hier den sogenannten ersten Raubkrieg eröffnete, schloß Ludwig
mit dem Kaiser einen geheimen Theiluugsvertrag über die spanische Monarchie für den
Fall des Ablebens Karls II. ab und erreichte dadurch das doppelte Ziel, daß der Kaiser
sein Erbrecht wenigstens indirect anerkannte und jener Triple-Alliauz der Seemächte mit
Schweden ferneblieb, welche den französischen König im Interesse des europäischen Gleich-
gewichtes zwang, im Frieden zu Aachen das Eroberte bis auf einige feste Plätze herauszu-
geben. Was damals Ludwig XIV. gegenüber Spanien erreichte, gewährte ihm bald darnach
bezüglich Lothringens und Hollands der Neutralitätsvertrag, de» der Kaiser mit ihm
einging. Leopold mußte ruhig zusehen, als der König mitten im Frieden Lothringen besetzte,
und konnte uichts zu Gunsten der Holländer unternehmen, als Ludwig gegeu diese als die
Urheber jener Triple-Allianz seinen zweiten Raubkrieg eröffnete.
Das war "das Ergebniß der Politik, zu welcher die sonst mit einander rivalisirenden
Minister Anersperg und Lobkowitz dem Kaiser gerathen hatten. Allerdings kann wenigstens
bezüglich des letzteren nicht gerade behauptet werden, daß ihn bei seinen Rathschlägen
lediglich eigennützige Motive geleitet hätten. Dieser Kaunitz des XVII. Jahrhunderts,
wie man ihn genannt hat, arbeitete wohl aus innerer Ueberzeugung auf ein inniges Ein-
vernehmen Österreichs mit Frankreich hin, das er freilich vergeblich dnrch die Einbeziehung
Spaniens zu eiuem Bunde der katholischen Mächte zu erweitern suchte. Aber die Gefahr,
welche in dem ungehemmten Umsichgreifen Lndwigs XIV. lag, der alle übrigen Mächte sich
dienstbar machte oder doch iu ihren entgegengesetzten Tendenzen zu paralysireu wußte,
sprang allzusehr in die Augen, als daß sich nicht auch am Wiener Hofe warnende Stimmen
dagegen erhoben hätten, wie jene des Burgunders Lisola, der nicht müde wurde, in zahl-
reichen Denkschriften immer wieder dem Kaiser die Nachtheile vor Augen zu führen, welche
in der Scheidung seiner Interessen voll denen Spaniens lagen, und uuaufhörlich auf die
Wiedervereinigung der Politik der beiden Linien des Hauses Habsburg drang. Auch der
Kaiser war im Grunde stets Spanien zugethan und nur der Türkengefahr, vor Allem aber
der Friedensliebe Leopolds und seiner Abneigung gegen eine durchgreifende Änderung des
bestehenden Systems wird es zuzuschreiben sein, daß sich die entscheidende Wendung der
kaiserlichen Politik bis zu dem Augenblicke verzögerte, als Frankreichs Umsichgreifen bereits
den Besitz der Kaiserkrone bedrohte. Aber selbst als Leopold endlich jenen Vertrag mit
Holland einging, der den Markstein der kaiserlichen Politik im nächsten Decenninm bilden
sollte, trat er vorerst nur für die Integrität des Reiches in die Schranken, indem er mit Hilfe
Brandenburgs blos die deutschen Verbündeten Frankreichs von diesem abzuziehen, mit
Frankreich aber den Frieden aufrecht zu halte» suchte. Es bedurfte neuer Enttäuschungen,
die ihm Lndwig XIV. bereitete, um ihn aus einer Stimmnng aufzurütteln, welche die
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil, Band 3
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil
- Band
- 3
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1887
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.64 x 22.39 cm
- Seiten
- 278
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch