Seite - 194 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil, Band 3
Bild der Seite - 194 -
Text der Seite - 194 -
194
Herstellung der Kliniken in Verbindung mit dem allgemeinen Krankenhause die schon von
seiner Mutter vorbereitete Blüte der medieinischen Faeultät.
Indem aber so das „Brodstudium" zur Hauptsache wurde, übersah man freilich nnr
allzusehr, daß der menschliche Geist noch einer anderen als jener irdischen Nahrung bedarf
und daß sich sein Trieb nach freier Entfaltung wider die Anfzwängnng eines einseitigen,
blos anf das Praktische gerichteten Bildnngsinhaltes selbst dann sträubt, wenn derselbe, wie
es hier wirklich der Fall war, den herrschenden Grundsätzen der Zeit entspricht.
Mit Recht ist man der ebenso falschen als vielverbreiteten Ansicht entgegengetreten,
als habe eine chinesische Maner das geistige Leben in Österreich das ganze XVIII. Jahr-
hundert hindurch von dem übrigen Europa getrennt. Vielmehr fanden, seitdem die Censur
den Jesuiten abgenommen worden war, die Erzeugnisse fremdländischer, namentlich der
deutschen nnd der französischen Literatur meist ungehindert in Österreich Eingang nud hier
einen empfänglichen Boden. Gellert und Klopstock, Lessiug und Wieland waren auch bei
uns fchou damals gefeierte Namen nud die Trattner'fchen Nachdrucke deutscher Dichter-
werke wurden mit Heißhunger verschlungen. Es entstanden Vereine und Zeitschriften,
welche sich die Reinigung der deutschen Sprache und die Belebung der Wissenschaft nnd
Kunst zur Aufgabe stellten. Aus derselben Gesellschaft Jesu, die sich bisher als Wider-
sachern? der deutschen Sprache erwiesen hatte, gingen die ersten österreichischen Dichter hervor
und anderseits fand selbst der Freimaurerorden mit seinen philanthropischen und deistischen
Grundsätzen in Österreich Eingang.
Nach alledem sollte man meinen, daß der Kaiser, als er daran ging, sein Volk wie
vvn dem Gewissenszwange, so auch von den Fesseln, in denen noch das geistige Leben lag,
durch die Beschränkung der Censur uud Freigebung des Buchhandels zu befreie», dafür
einen wohl vorbereiteten Boden vorgefunden habe. Das war aber dvch nur zum Theil
der Fall. Der Kaiser hatte gehofft, durch die Freigcbuug der Presse dem wisseuschaftlicheu
Lebe» eiueu Sporn zu geben und in den Schriftstellern eine Schar geistiger Mitarbeiter
an dem großen Werke der Anfklärnng zu finden. Aber es zeigte sich bald, daß die neueu
Anschauungen, denen Josef zum Siege verhelfen wollte, doch nur bei deu höhere» Stäudeu
vorzüglich infolge ihrer meist französische» Bildung bereitwillige Aufnahme fände«, während
die große Masse des Volkes, das Jahrhunderte lang muudtodt gewesen war, weder die
geistige Reife uoch das entsprechende Verständniß für die großen Fragen der Zeit besaß.
Die große Menge nahm die köstliche Gabe des Kaisers mit der Naivetät des Kindes
hin, das mit dem ihm geschenkten Spielzeug nichts Rechtes auzusangen weiß, uud die nächste
Folge des Censurgesetzes war nur das Auftauchen zahlloser Brochureu vou unglaublicher
Flachheit, die Alles, selbst das Heiligste hinab zerrten in den Schlamm, aus dem sie
selbst gleich giftigen Pilzen emporschösse«. Auch leistete anderseits die nene Handhabung
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil, Band 3
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Übersichtsband, 1. Abteilung: Geschichtlicher Teil
- Band
- 3
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1887
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.64 x 22.39 cm
- Seiten
- 278
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch