Seite - 246 - in Wiener Ausgabe sämtlicher Werke - Historisch-kritische Edition, Band 1
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246 Lesetext
FRAU STEINTHALER (folgt ihm durch das Himmelstor.)
(Dunkel)
II.
Auf der Erde.
Und zwar vor dem Bühnentürl. Man hört gedämpft die Abendvorstellung heraus,
Musik und Gesang (Meistersinger-Ouvertüre).LUISE sitzt auf einer Bank und wartet.
Es ist Herbst. Die Blätter fallen, ab und zu weht der Wind, und dann flackert das Licht
in den Laternen.
Ein DIENSTMANN kommt mit einem Bouquet, und der BÜHNENPORTIER erscheint im
Bühnentürl.
DIENSTMANN (grüßt.) Ist das hier das Bühnentürl?
PORTIER Logischerweise.
DIENSTMANN Alsdann sind Sie der Herr Bühnenportier?
PORTIER Wer denn sonst?
DIENSTMANN Alsdann, ich soll das Zeug da abgeben für eure Primadonna. (Er über-
reicht ihm das Bouquet und ein Briefchen.)
PORTIER (liest die Adresse.) Aha! Das ist unser Koloratursopran.
DIENSTMANN Das ist mir wurscht! (ab)
(Musik aus)
PORTIER (erbricht das Briefchen und liest.) Teuerste!– Das glaub ich!– In Erwartung
liebverlebter Stunden –
LUISE (plötzlich) Herr Bühnenportier!
PORTIER Was gibts denn schon wieder?
LUISE Ist er noch immer nicht da, der Herr Intendant?
PORTIER Nein.
LUISE Aber ich wart doch schon sieben Wochen.
LAUTERBACH (erscheint im Bühnentürl.) Sobottka! Habens nicht zufällig ein
schmerzstillendes Mittel bei sich? Ich hab da einen hohlen Zahn, der tut mir
scheußlich weh!
PORTIER Leider, Herr Hilfsregisseur, besitze ich nichts Schmerzstillendes. Trinkens
ein bisserl Alkohol, das betäubt.
LAUTERBACH Ich hab ja schon drei Achtel Rum!
PORTIER Drei Achtel? (schnuppert.)
LAUTERBACH Es können auch vier Achtel gewesen sein, aber es bleibt immer alles
beim alten. Meiner Seel, ich bin schon richtig deprimiert, gesundheitlich und –
beruflich auch.
PORTIER Sie sollten nicht so viel saufen, Herr Lauterbach!
LAUTERBACH Sondern? Sie habens leicht: Sie sind der Bühnenportier. Aber ich? Ei-
gentlich bin ich doch ein korrekter Regisseur. (laut) Derweil komm ich aber nie
zu meiner Regie, immer und immer nur Hilfsregie! Oh du heilige Verzweiflung!
Nie und nimmer eine selbständige Inszenierung, wo man endlich zeigen könnt,
was in einem drinnen schlummert!
PORTIER Schicksal!
(Pause)
LAUTERBACH Lieber Sobottka, gehns, leihns mir ein paar Kreuzer, damit ich mir noch
ein Achtel Rum –
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Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
Historisch-kritische Edition, Band 1
- Titel
- Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
- Untertitel
- Historisch-kritische Edition
- Band
- 1
- Autor
- Ödön von Horváth
- Herausgeber
- Klaus Kastberger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-058470-7
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 338
- Kategorien
- Weiteres Belletristik