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1721.
Jänner 1848
doch hat er sich durch sina’s und rothschilds hülfe wieder erholt. dage-
gen erzählt man seit gestern mit vieler Bestimmtheit, daß am 17. in Wien
eine emeute stattgefunden habe. kübeck habe sich nämlich aus Anlaß der
letzten vorgänge in italien und hauptsächlich vom finanziellen standpunkte
aus für durchgreifende reformen ausgesprochen, darüber heftig mit erzher-
zog ludwig und fürst metternich aneinandergerathen, und habe hierauf
seine entlassung genommen. darüber seyen dann volksaufläufe entstan-
den, man habe metternich die fenster eingeworfen, eine deputation zum
kaiser geschickt etc. niemand weiß etwas positives, und die heutige Wiener-
post ist ausgeblieben, denn es schneyt seit gestern wie in sibirien. übrigens
glaube ich nicht recht daran, denn es wird hier ganz entsetzlich gelogen,
wenn es aber wahr wäre, so wäre das die wichtigste neuigkeit seit 1815,
denn einem Aufstande in Wien widersteht das system keine 24 stunden
lang.
hier gehen die sachen schlecht, regierung und Polizey benehmen sich
so ungeschickt als möglich, nachdem man die sammlung für die mailänder
ungestört hat geschehen lassen, macht man jetzt, da die kuh aus dem stalle
ist, plötzlich demonstrationen, droht den damen mit einsperren etc. und
läßt sich dann durch deputationen der municipalität beruhigen, überhaupt
läßt man hier wie in der lombardey diesen municipalitaeten eine viel grö-
ßere rolle spielen, als es unter einer absolut seyn wollenden regierung ge-
schehen sollte. die kaiserliche Proclamation hat zwar erbittert, aber nicht
eingeschüchtert, dann das gleichzeitige handbillet an den vicekönig (wel-
ches man, wie es scheint, absichtlich unter der hand laut werden ließ) ver-
darb den eindruck derselben, toujours des demi-mesures. man begeht lauter
taktlosigkeiten: die ewigen kleinen demonstrationen im theater, auf den
straßen etc. läßt man ungestraft hingehen, was die leute nur ermuthigt, da-
gegen wird der società Apollinea eine versammlung untersagt, worin über
die motion von 100 mitgliedern: das für Bälle bestimmte geld den mailän-
dern zu schicken, débattirt werden sollte, und zwar durch ein schriftliches
verboth der Polizeydirection, und die Presidenza der gesellschaft erläßt in
folge dessen ein gedrucktes circulare an sämmtliche mitglieder, worin sie
mittheilt, daß die versammlung unterbleibe „perchè non combina colle vi-
ste di questo governo“!! man reizt, imponirt nicht und macht sich lächer-
lich. Palfy ist ein schwacher mensch ohne Willenskraft und hingebung, er
lamentirt wie ein schulbube und möchte gerne pensionirt seyn. meiner An-
sicht nach gibt es nur zwey Wege, um da mit ehren und vortheil heraus zu
kommen: offen mit der vergangenheit zu brechen, pater peccavi zu sagen
und ein neues system zu ergreifen, oder aber, wenn man dieses nicht will,
das martialgesetz im ganzen königreiche zu proclamiren, den vicekönig
abzurufen, alle civilbehörden zu suspendiren, radetzky pleins pouvoirs zu
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien