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52 Tagebücher
des quasi Belagerungszustandes durch Widerruf der civilattributionen des
fürsten Windischgrätz, dann auf die entlassung der unpopulären minister
erzherzog ludwig, hartig und Pilgram. übrigens wurden wir so oft gestört,
und die leute sprachen so verworren durch einander, daß wir zu keinem Be-
schlusse kamen, um so mehr, als Baron dercsényi von o’connell,1 commu-
nismus und de omnibus rebus et quibusdam aliis 2 stunden lang sprach. ich
gab daher Alexander Bach, der bey weitem der gescheidteste ist, das Wort,
Abends zu ihm zu kommen und das Programm festzusetzen.
um 1 uhr war das feyerliche leichenbegängniß der opfer des 13. märz,
über 40.000 mann nationalgarden waren versammelt, ein imposantes
schauspiel, und fiel zu meiner großen freude ohne alle ruhestörung aus.
die läden waren schon Alle wieder offen, die Beleuchtung der fenster von
heute an abbestellt, kurz Alles trat wieder ins gewöhnliche geleise. doch
war noch die Burg abgesperrt und nicht alle Besorgniß verschwunden, und
ich selbst theilte diese noch einigermaßen, weil ich die persönlichen garan-
tieen der entfernung der obengenannten Personen und die ernennung ächt
constitutionell gesinnter minister vermißte. in diesem sinne sprach ich mich
auch Abends bey Bach aus, wo wir bis spät in die nacht saßen. das Pro-
gramm, worüber wir uns vereinigten, enthielt außer den obigen 2 Punkten
noch: provisorisches Preßgesetz, vereinbarung wegen der Art und Weise der
Ausarbeitung eines constitutionsentwurfes, niedersetzung von comités we-
gen Ausarbeitung von gesetzentwürfen über eine gemeindeordnung, das
unterrichtswesen und ein neues Besteuerungssystem, dann gleichstellung
der kulte und regulirung der jetzt vollkommen annullirten Polizey. dieses
sollte Bach heute in dem ständischen comité vortragen, welches sich so eben
gebildet hat, aus 12 ständen und 12 Bürgern besteht und sich mit der vor-
berathung des zunächst nothwendigen beschäftigen will. da ich leider noch
nicht niederösterreichischer landstand bin, so habe ich auch hieran keinen
directen Antheil.
übrigens will Jedermann etwas von mir, die einen fragen mich, ob ich
noch nichts geschrieben habe, keinen Zeitungsartikel, Aufruf etc., deren es
jetzt myriaden gibt, und warum? die andern, ob und welches Portefeuille
ich bekommen werde? ich aber will noch einige tage warten, um zu sehen,
ob mir von der regierung annehmbare Anträge gemacht werden (was ich
mit Passion ergreifen würde, wäre die leitung des unterrichtswesens und
der Presse), wo nicht, so gedenke ich ein großes gemäßigt liberales Blatt zu
gründen, obwohl mir das Journalistenwesen nicht sehr zusagt, lieber wäre
mir eine bedeutende administrative stellung, übrigens dürfte eine schwie-
1 Daniel O’Connell war der Führer der irischen Repeal-Bewegung, die sich die Auflösung der
union von großbritannien und irland zum Ziel gesetzt hatte.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien