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76 Tagebücher
zu seyn glaube, irgendwo in der monarchie gewählt zu werden. gestern war
dr. habel aus Baden hier, um mich für den Bezirk Wiener neustadt aufzu-
fordern, mich den Wählern persönlich vorzustellen, was ich aber ablehnte,
jedoch auf sein Begehren ihm einen Brief mit einer Art glaubensbekenntniß
schrieb. ich habe hier soviel zu thun und zu wirken, daß meine Wahl nach
frankfurt ein wirkliches opfer für mich wäre, und ich sie auf jeden fall nur
unter der Bedingung annehmen würde, daß sie mich nicht abhalten könne,
mich für den hiesigen reichstag als candidaten zu melden.
um hier ordentliche Wahlen, d.h. notabilitäten, wie sich dieß für die
hauptstadt geziemen würde, durchzusetzen, habe ich bey Pillersdorff und
magistrat veranlaßt, daß die Wahlen anstatt in 7, in 2 Bezirken vorgenom-
men würden, so daß eine versammlung 4 Abgeordnete und 4 stellvertre-
ter, die andere deren 3 zu wählen hätte. doch fürchte ich, daß Alex. Bach,
welcher überhaupt in dieser sache eine etwas intrigante rolle zu spielen
scheint, diesen Beschluß noch hinterdrein hintertreiben werde, und in die-
sem falle wird in der inneren stadt eine notabilität, in den 6 vorstadtbezir-
ken aber vielleicht ein paar grundrichter oder reiche schneider etc. gewählt
werden, de reste cela m’est bien égal.1
der nationalausschuß in Böhmen besteht hartnäckig darauf nicht zu
wählen, und hat eine eigene deputation deßwegen hierher gesandt, doch
regt sich eine bedeutende und höchst energische reaction im ganzen deut-
schen und auch schon in einem großen theile des czechischen Böhmen, in
reichenberg wurde ein förmlicher tag der deutschböhmischen kreise gehal-
ten. Auch hier in Wien sitzt ein comité der deutschen in Böhmen, mähren
und schlesien, welches große thätigkeit entfaltet, sowie im entgegengesetz-
ten sinne der hiesige slavenverein, eines der wahnsinnigsten mitglieder
desselben ist Procop lazansky, der von wahrem oder affektirten czechismus
ganz stupid geworden ist. Dagegen hatten wir nämlich Schafařik und Beck
in unser centralcomité geladen, welche beyde einstimmten, daß Böhmen,
wenn auch unter vorbehalt, wählen solle und müsse. Auch leo thun, wel-
cher vor einigen tagen nach Prag abging, um den ochsen rudolph stadion,
dessen dummheit und hasenfüßerey dieses Alles zuzuschreiben ist, abzu-
lösen, theilt diese Ansicht. leider hat der fünfziger Ausschuß sich dieser
sache bemächtigt und kuranda nach Prag an den nationalausschuß abge-
sendet, wenn dieses nicht Alles verdirbt, so hoffe ich auf eine befriedigende
lösung. fritz deym agitirt von carlsbad aus, wo er seit 1. dieses monats
seiner gesundheit wegen ist, mächtig in unserm sinne, hat mir aber, fürchte
ich, einen schlechten dienst erwiesen, indem er einen Brief, welchen ich
ihm in dieser Angelegenheit schrieb, drucken ließ und mit nennung meines
1 tatsächlich wurden in Wien sechs mandate in einerwahlkreisen vergeben.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien