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ebenso weiter, an allen stationen deputationen, nationalgarde, Anreden
etc. An der preußischen Grenze war es ebenso, in Breslau empfingen uns
alle Behörden, und der commandirende graf Brandenburg gab uns ein di-
ner am Bahnhofe, in görlitz übernachteten wir, fackelzug etc.
An der sächsischen Grenze empfing uns der König, in Dresden wurde ich
am Bahnhofe dem könige und den Prinzen vorgestellt. Prinz Albert kam
als auf einen alten Bekannten auf mich los, und ich stellte den herrschaf-
ten unsere herren vor, im schlosse war déjeuner, der erzherzog mit der
königlichen familie, wir an der marschallstafel mit dem diplomatischen
corps, den ministern etc. darüber waren wir sehr aufgebracht und woll-
ten die tafel verlassen, beschwichtigten uns aber, als wir hörten, daß erz-
herzog Johann ganz allein mit der königlichen familie speiste. dennoch
aber waren wir sehr unzufrieden mit unserer Behandlung an der tafel, da
man von uns keine besondere notiz nahm, und wir gaben unsere unzufrie-
denheit sehr deutlich zu erkennen. in leipzig gab uns die stadt ein diner
unter einem Zelte auf dem Bahnhofe, ich saß zur rechten des königs und
brachte die gesundheit der stadt leipzig aus als erwiederung des toasts,
welcher der nationalversammlung gebracht worden war. gleicher emp-
fang in halle, Weimar, wo uns der großherzog erwartete etc., erfurt und
endlich in eisenach, wo uns der erbgroßherzog im schlosse bewirthete und
ich neben dem erzherzoge saß. um 2 fuhren wir von dort ab und waren um
4 uhr nachmittag (immer in gleicher Weise bewillkommnet) an der stadt-
grenze frankfurts, wo ich, Jucho und saucken uns zum erzherzoge in eine
6spännige carosse setzten und unsern einzug hielten, welcher über alle
maßen brillant und enthusiastisch war. die innung der küfer gab uns, d.h.
dem erzherzog und mir, aus silbernen Pokalen alten rheinwein zu trin-
ken, wobey der erzherzog stehend das Wohl der frankfurter ausbrachte.
im russischen hofe erwartete uns gagern mit einer zahlreichen deputation
der nationalversammlung, der erzherzog erwiederte dessen Anrede vor-
trefflich, wie er sich denn überhaupt auf der ganzen Reise äußerst taktvoll
und umsichtig benommen und allgemeinen enthusiasmus erregt hat.
Abends war fackelzug, wo ich den erzherzog bewog, trotz seiner müdig-
keit ein paar Worte zum volke zu sprechen.
das resultat dieser ganzen reise, vielleicht der glänzendsten erinne-
rung in meinem leben, ist, daß die Begeisterung für die einheit deutsch-
lands allgemein, aber fast ebenso allgemein auch die Anhänglichkeit an das
monarchische Prinzip, an die fürsten und an die stammes individualitä-
ten ist, daß die radicalen und republicaner in der unendlichsten minorität
sind (wovon man sich namentlich in sachsen, welches zu seiner allgemei-
nen scham und entrüstung soviele radicale hieher geschickt hat, allent-
halben die größte mühe gab, uns zu überzeugen), und daß wir wahrhaft die
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien