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Juli 1848
stimme des volkes hinter uns haben, daher fest und energisch auftreten
sollen und müssen. Also keine concessionen mehr.
[frankfurt] 15. Juli Abends
in diesen 3 tagen habe ich entsetzlich viel zu thun und manche intrigue
zu vereiteln gehabt, nun ist aber Alles gelungen; und ich ruhe auf meinen
lorbeeren. die intriguen gingen hauptsächlich dahin, den erzherzog zu
zwingen, daß er hier bleibe, und leider nahm selbst gagern in einer nicht
sehr loyalen und staatsmännischen Weise daran theil. diese hessischen,
lippedetmoldschen und reußschleizgreizschen staatsmänner bringen es
doch nie zu einer größeren Auffassung der dinge.
Am Tage nach unserer Ankunft war feierliche Sitzung. Gleich da fing Ga-
gern sein spiel an, indem er vor dem Beginne derselben erzählte, erzherzog
Johann werde nicht mehr nach Wien zurück gehen, was natürlich wie ein
lauffeuer umher ging. heckscher berichtete sodann über unsere reise, so
unpassend und geschmacklos als möglich, ein wahrer frivoler alter Weiber-
klatsch, von nichts als von diners, fürstlichkeiten etc., legte sehr taktlos
gewicht auf einen toast, welchen general Brandenburg allerdings unge-
schickt, jedoch wohl kaum mit Absicht „auf oesterreich und Preußen“, also
nicht auf ein deutschland gebracht hatte, ebenso taktlos auf unsere eti-
kettegeschichte in dresden, machte ein paar hohle Phrasen über die volks-
souveränität und vergaß das wichtigste ergebniß der reise: die allgemeine
Anhänglichkeit der stämme an ihre fürsten und an ihre selbstständigkeit.
der Bericht dauerte 1 1/2 stunden und brach heckscher in vieler Augen
den hals, es circuliren seitdem eine masse caricaturen auf ihn und seine
rede. er hatte sich von uns ausgebeten, diesen Bericht erstatten zu dürfen,
ich hätte ihn ganz anders, kürzer und schlagender gehalten.
gegen 11 erschien der reichsverweser, von einer zahlreichen deputation
abgeholt, in unserer mitte. Auf gagerns rede antwortete er kurz und gut
und erwähnte ausdrücklich seines entschlusses, in Wien den reichstag zu
eröffnen, dann aber seine dortige stellung aufzugeben und ganz hier zu blei-
ben. dann begleiteten wir ihn in feierlichem Zuge zu fuße unter kanonen-
donner und glockengeläute nach hause, worauf er in die Bundesversamm-
lung ging, welche sich in feierlicher Weise auflöste und ihm im Namen der
regierungen seine gewalten übertrug, natürlich wieder zum großen Ärger
der linken, welche es verdrießt, daß der Bundestag nun doch wieder das
letzte Wort behalten hat. nachmittags that erzherzog Johann einen sehr
glücklichen schritt, er ließ uns rufen, erzählte uns, was man für Zureden
bey ihm anwende, um ihn zu bewegen, nicht mehr nach Wien zu gehen, und
fragte uns (die deputation, die ihn begleitet hatte) um unsern rath, wir be-
theuerten Alle einmüthig, er müsse gehen, sowol um sein in Wien so feier-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien