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93.
Jänner 1854
[am nil vor luxor] 3. Jänner
den ganzen vorgestrigen tag brachten wir mit rudern und Ziehen zu und
sahen nichts merkwürdiges als einen scheikh el Belad, welcher am ufer
gravitätisch mit Pfeife und gefolge daherritt, vor ihm ein mann mit der
meßstange, um die felder und darnach die grundsteuer abzumessen, das
geschieht jährlich neu. gestern früh waren wir im Angesichte des klassi-
schen Bodens von oberaegypten: theben (ein eigentliches dorf dieses nah-
mens gibt es nicht, doch wohnen eine menge Araber in den gräbern und
grotten der alten königsstadt theben), kurneh auf der westlichen, luxor
und karnak auf der östlichen seite. Wir stiegen gegen 1/2 10, lange ehe das
Boot nach theben kam, aus, nahmen esel, führer, Wasserbuben etc. und
ritten zuerst nach dem tempel von kurneh, von osiris und seinem sohne
remeses 2. (sesostris) gebaut, also circa 1370 Jahre vor christo, und Amun,
dem ägyptischen Jupiter geweiht, es steht davon nichts mehr als einige
säulenreihen und Querbalken von kolossalen steinen. dann ritten wir über
stein-, Ziegel- und schutthaufen, mit denen sowie mit knochen und mumi-
enresten die gegend meilenweit bedeckt ist, an einigen zertrümmerten ko-
lossalen statuen vorüber, zu dem memnonium, eigentlich remeseum, einer
herrlichen ruine, von der aber ebenfalls nur mehr die säulen mit einigen
finsteren Kammern und daneben einer schiefen Mauer von Gugelsteinen
aufrecht stehen. daneben liegt die kolossalste statue in egypten und wahr-
scheinlich in der Welt, einen könig vorstellend, in zahllosen trümmern, von
denen aber die 2 hauptstücke: kopf und oberleib, jedes für sich, wie kleine
felsen aussehen. das Alles vom schönsten granit aus Assuan (syene).
die meisten dieser entsetzlichen verwüstungen, welche an allen ägypti-
schen monumenten sichtbar sind, wurden von cambyses angerichtet, als er
Aegypten erobert, es muß an dieser verwüstung mit beyspielloser Ausdauer
und kraftaufwand gearbeitet worden seyn, die meisten figuren, namentlich
die köpfe der könige, götter etc. sind mit dem meißel zerstört etc. Auch die
mohametaner haben übrigens das ihrige beygetragen.
Auch dieser magnifique Tempel ist von Sesostris gebaut, und die Bas-
reliefs und hieroglyphen stellen dessen siege, schlachten etc. vor, sind da-
her selbst für einen layen interessant, als kunstwerke stehen sie dagegen
ungefähr auf der stufe einer Wandzeichnung mit kreide oder kohle eines
europäischen schulbuben.
überhaupt scheinen die egyptischen ruinen das characteristische zu
haben, daß sie nur durch ihre dimensionen und durch ihr hohes Alter, also
durch die Reflection, interessieren, der Schönheitssinn wird fast überall be-
leidigt. daher lassen einen diese monumente kalt, in einem griechischen
oder römischen Bauwerke ist mehr Poësie als in ganz egypten. es gibt ein-
zelne Ausnahmen, und vielleicht ist das memnonium eine solche.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien