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115.
Jänner 1854
frieden. ein verrückter engländer, mr. kennard, kam an Bord und spielte
mit uns Whist.
die fantasias, der gesang und die musik hören hier nicht auf, wir sind
hier an dem centralpunkte für die aegyptischen touristen.
heute sind die beyden reisegefährten nach den gräbern geritten, ich
blieb zurück und will mir diese excursion auf den zweyten Aufenthalt in
theben aufsparen (auf unserer rückkehr nämlich), da ich mir das gestern
gesehene schwerlich noch einmahl ansehen dürfte und durchaus kein en-
thusiast bin wie der in jeder hinsicht noch sehr junge fletcher.
indessen machte ich einen spatziergang durch luxor, sah mir den Ba-
zaar und den obelisken an, dessen Bruder auf der place de la concorde (je-
denfalls in angenehmerer lage als dieser hier) steht. dann kroch ich mit ei-
nem führer in den säulengängen und ruinen des großen tempels herum,
in welchen ganz luxor, das heutige, hineingebaut ist, schöne ruinen und
mitunter ein edler Baustyl, die hieroglyphen dieselben wie überall, ich be-
stieg mit lebensgefahr eine ruine, von der man eine schöne Aussicht über
beyde ufer hat, dann sah ich einen tempelhof mit römischen (wahrschein-
lich römisch-christlichen) fresken, welche über die alten hieroglyphen ge-
malt sind, stückweise noch recht gut erhalten. gestern sah ich zum ersten-
mahle eine Baumwollenpflanze.
[am nil südlich von luxor] 5. Jänner
ich hatte mich schon in cairo nach einem jungen preußischen gelehrten,
dr. Brugsch, erkundiget, welcher im Auftrage der Berliner Academie schon
seit 1 1/2 bis 2 Jahren in Aegypten reist, und den mir unter andern auch
Perponcher in Wien als eine werthvolle Bekanntschaft genannt hatte, in
cairo erfuhr ich, daß er bereits seit 6 monathen sich in oberaegypten auf-
halte, und neulich sagte mir Briggs, er sey in theben und wohne neben dem
memnonium. da ich ihn am ersten tage meiner Anwesenheit in theben
nicht zuhause traf, so schrieb ich ihm tags darauf, um ihn zu bitten, mit
uns zu speisen. er kam demnach vorgestern gegen 4 uhr zu mir an Bord,
er gefiel mir ausnehmend wohl und scheint in aegyptiacis sehr gelehrt zu
seyn. er schreibt eben eine Abhandlung für die Academie über die spuren
jüdischer geschichte in den ägyptischen Bauwerken und manuscripten,
welche, wie er mir sagte, in allen hauptsachen mit den Angaben der Bibel
übereinstimmen. Auch von dem biblischen Pharao, unter dem der exodus
(gegen 1300 Jahre vor christus) stattfand, kömmt vor, daß er plötzlichen
todes und zwar im Wasser gestorben sey. ein sohn desselben war der grie-
chische sesostris, rameses 2. überhaupt, sagte er, hätten die entdeckun-
gen der letzten Jahre zu ganz neuen resultaten geführt und namentlich
Wilkinson’s historische und chronologische Angaben ganz umgestürzt.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien