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14 Tagebücher
Am 6. gegen Abend landeten wir vor esneh, wo die mannschaft Brod bak-
ken wollte. das ufer schwärmte von Almehs1 und freudenmädchen aller
farben, die meisten derselben häßlich und ganz gemeiner gattung. esneh
ist der klassische Boden für diese Art Weiber, übrigens scheint der bessere
elegantere reizendere theil derselben nach und nach abzusterben, seit sie
von der europäisirenden sittlichkeitspolizey der regierung verfolgt wer-
den. Aus cairo sind sie ausgewiesen, und wenn auch noch unter der hand
irgend etwas dergleichen dort besteht, so ist es doch mit großen schwierig-
keiten und ungelegenheiten verbunden. die besseren unter ihnen haben
daher auf eine oder die andere Art ihren Beruf verlassen. die sittlichkeit
ist überhaupt in muselmännischen ländern äußerlich viel besser gewahrt
als in europa, was aber nicht hindert, daß viele türken ihre sklavinnen
ausleihen, sowohl weil deren kinder dann ihre sklaven werden, als des
unmittelbaren gewinnes halber, oft wird ein solcher vertrag zwischen dem
herrn und der sclavinn auf eine Anzahl Jahre geschlossen, nach deren ver-
lauf sie frey wird. überhaupt sind die sclaven durch gesetz und gebrauch
ziemlich geschützt und meistens in einer recht guten lage, hat eine scla-
vinn ein kind von ihrem herrn, so ist sie und das kind frey. insoferne hat
der coran immerhin mildernd und civilisirend gewirkt.
übrigens sind die Begriffe von moralität im oriente himmelweit von den
unsrigen verschieden, z.B. mein dragoman, ein alter Betbruder, welcher
vor dem Anblicke einer Almeh zurückschaudert und uns, als wir gestern
in esneh durch das stadtviertel gingen, in dem sie wohnen, um keinen
Preis begleitet hätte, derselbe mann, als ich ihn einmahl in cairo befrage,
wie ich es machen müßte, wenn ich mir eine hübsche sclavinn beylegen
wollte? machte mich von selbst darauf aufmerksam, daß, wenn ich diese
schwängern sollte, ich sie dann nicht mehr (wie es doch wahrscheinlich
meine Absicht sey) weiter verkaufen könnte, er wolle es daher in diesem
falle besorgen, sie eine fehlgeburt machen zu lassen, was allgemein ge-
bräuchlich sey!
gestern vormittag gingen wir in den ort esné und sahen dort einen noch
recht gut erhaltenen kleinen tempel, der einzige, welcher (und zwar 1842
auf Befehl mehemet Ali’s) vollkommen bis auf den grund ausgegraben ist.
dabey sieht man deutlich, wie sehr, etwa um 25 fuß, seitdem der Boden
sich gehoben hat. um wie vieles schöner und imposanter wären die großen
tempel in theben, dendera etc., wenn man dort ein gleiches gethan hätte!
einige stunden später ging ich allein mit mohammed nach dem eine
kleine stunde entfernten koptischen kloster sitteh mariam (Jungfrau ma-
ria), dem ältesten in egypten, von kaiserinn helena erbaut und gestiftet.
1 Almeh (mehrzahl Awalim), in den künsten gelehrte, tänzerinnen und sängerinnen.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien