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46 Tagebücher
als Baronne tuyll mit mir von triest hieher kam, in singapore angekom-
men hat der saubere herr sie fortgejagt, arme frau.1
diesen Abend producirt sich hier im hôtel ein neapolitanisches tänzer-
paar.
heute machte ich hakekar Bey einen langen Besuch und hörte viel inter-
essantes, er rechnet die Bevölkerung egyptens (ohne nubien etc.) auf 3–3 1/2
Millionen, die culturfähige Oberfläche beträgt 6 Millionen feddans,2 wovon
nur die hälfte angebaut ist. Als eigentlicher eigenthümer des gesammten
Bodens wird und wurde seit jeher die regierung angesehen (welche allein die
großartigen Bauten, canäle etc. ausführen kann, von denen die Benützbar-
keit des landes abhängt), der fellah oder sonst irgend Jemand besitzt den
grund, den er bebaut, nur durch eine Art toleranz, und dieses nur unter der
Bedingung des Bebauens, wollte er ihn unbebaut lassen (wenn er auch die
steuern zahlen wollte), so würde er abgestiftet werden. innerhalb dieser Be-
schränkungen jedoch kann er ihn verkaufen, vererben etc. AbbasPascha ist
gegenwärtig auf eine oder die andere Art eigenthümer der hälfte des ganzen
urbaren Bodens geworden, und die früher darauf eigenthümlich angesesse-
nen fellahs arbeiten jetzt in seinem taglohn. diese domainenadministra-
tion wird von eigenen Beamten in den Provinzen geführt, welche neben den
mudirs (gouverneurs) stehen und eigentlich viel mächtiger als diese sind.
hakekarBey meint, daß die fellahs trotz des reichthums des Bodens,
ihrer Arbeitsamkeit und der Aufhebung der monopole doch die ärmste
menschenklasse auf gottes erdboden sind, wegen der Willkürlichkeit und
erpressungen der regierung, und daß es gar nicht im sinne und interesse
derselben liege, wohlhabende Bauern und Bürger zu haben, was ich mir
daraus erkläre, daß die ganze regierungsgewalt bis sehr tief hinab in den
händen einer vergleichungsweise geringen Anzahl von Ausländern (tür-
ken) liegt und nach dem character der Araber liegen muß, die denn auch
tief verhaßt sind, er meinte, im falle einer invasion etc. würden die ein-
geborenen mit Wuth gegen die regierung auftreten. merkwürdig ist, daß
diese türkischen einwanderer nur höchst selten eine zweyte, nie aber eine
dritte generation erreichen, meistens sterben sie kinderlos oder verlieren
diese in frühen Jahren. clima, gewohnheiten (z.B. begruben und begraben
sie zum theile noch ihre todten in ihren häusern), besonders aber ihre
demoralisation sind daran ursache, dasselbe soll bey den europäischen
residenten der fall seyn. die arabische Bevölkerung, bey denen jene de-
moralisation lange nicht so groß ist, nimmt rasch zu, besonders seit der
verbesserung des sanitätswesens wie der einführung der vaccine.
1 Zu ihrer Begegnung am schiff auf der reise nach Ägypten vgl. eintrag v. 18.11.1853.
2 Ägyptisches flächenmaß – 1 feddan = ca. 4000 m2.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien