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732.
April 1854
ner zahlten die maroniten, wie alle anderen christen im reiche, den ka-
radsch als Entgelt für die Waffenpflicht, von der sie nach dem Koran frey
sind, nun aber ist durch einen zu constantinopel geschlossenen vertrag
die gleichheit aller glaubensbekenntnisse festgesetzt, daher der karadsch
aufgehoben, dagegen die Christen militärpflichtig geworden, wir werden
daher, wenn die türkey bis dahin noch steht, in einigen Jahren christli-
che soldaten, christliche Paschas etc. in der türkey sehen! dann wird sie
einen etwas langsameren tod sterben anstatt, wie rußland möchte, einen
schnellen, das ist das schicksal des mohammedanismus wie jedes starren
conservativen Principes in europa.
ich besuchte auch heute den preußischen consul Weber, an den ich einen
Brief von Pizzamano hatte, und fand an ihm einen gebildeten gutunterrich-
teten mann.
gödl schickte mir Zeitungen bis zum 8. dieses monats. oesterreich wird
von allen seiten gehofmeistert, gehudelt, bedroht, als wäre es keine groß-
macht mehr, und es ist auch keine mehr, weil es nicht will und weil es nicht
weiß. Wann wird das enden? man achtet und fürchtet uns nicht mehr, haßt
uns aber auf allen seiten.
in Jaffa soll noë mit seiner Arche gelandet haben, ebendort trat Prophet
Jonas seine seereise an und spielt die fabel des Perseus und der Andro-
meda.
[Beirut] 30. märz
morgen gehe ich nach damascus, da ich nicht viel Zeit zu verlieren habe,
habe ich mich kurzweg entschlossen, mit einem Amerikaner m. goodyew
zu reisen oder vielmehr mit seinem mir von cairo aus (er war nämlich in
Jochmus’ dienst) vortheilhaft bekannten dragoman, auch m. goodyew sah
ich bereits in Aegypten und Jerusalem. heute machte ich mit einem Beam-
ten des consulates, den mir gödel zur verfügung stellte, einen spaziergang
durch die stadt, die Bazaars, zum serailthore hinaus, in die reizenden vor-
städte voll gärten, caffehhäuser etc. und hatte von einer Anhöhe ober ras
Beyrut die herrlichste Aussicht der Welt auf meer, stadt, hafen, libanon
etc. Auch besuchte ich das interessante und wundernette etablissement
der französischen sœurs de la charité de s. vincent de Paula, in welchem
nebst schule, Pensionnat und kirche auch ein spital, Apotheke und findel-
haus beysammen sind, die vorsteherinn führte mich überall herum.
diesen Abend bringe ich bey gödel zu.
damascus 2. April Abends
meine consularsoirée in Beyrut war, wie ich erwartete, langweilig. mad.
gödel sang italienische Arien und schimpfte über Beyrut, der kanzler herr
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien