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78 Tagebücher
[damaskus] 4. April
heute früh kam helias, um mir die nachricht zu bringen, daß Abdallah
Bey, enkel und erbe Assad Paschas (eines halb unabhängigen Paschas von
damaskus aus dem vorigen Jahrhundert, der hier in großem Andenken
steht) unverhoffterweise mir erlaubt habe, sein haus, das prächtigste in der
stadt, anzusehen,1 eine ehre, die, wie helias sagte, seines Wissens nur dem
Prinzen Albert von Preußen widerfahren sey. Wir gingen dahin, fanden den
alten gutmüthig und vornehm aussehenden herrn in seinem divan, umge-
ben von seinen Clienten, rauchend etc. Er empfing uns sehr höflich und ließ
uns nach der gewöhnlichen visite, Pfeifen, caffeh etc. durch seinen sohn
herumführen. der haremsalon ist wahrhaft fürstlich, wie das ganze haus
und hauswesen, an 100 köpfe stark. Als wir von reisen sprachen, sagte er
mir, er ginge gerne nach constantinopel, doch würde ihm eine solche reise
mindestens 1/2 million Piaster kosten, wegen der obligaten geschenke.
nachher sah ich noch das haus eines türken namens gebel, hierauf
bath ich helias, seinen geschäften nachzugehen, wir aber gingen in einige
magazine von Waffen, seidenstoffen etc., sahen ein paar höchst primitive
seidenfabriken, dann die gerade straße, von der die Bibel spricht, den ort
außer der Stadtmauern, an welchem der heilige Paulus aus der Stadt flüch-
tete, den ort, wo ihn der Blitz zum christenthume bekehrte, mit einer da-
selbst befindlichen katholischen Kapelle, das Haus des Ananias, wo Paulus
wohnte, ein paar große caffehhäuser, einen ungeheuern Platanus, welcher
mitten in einem Bazaar wächst, endlich die citadelle, ein bis auf die äußern
mauern, die von superben Quadersteinen sind, fast ganz in trümmern lie-
gendes festungswerk von ungeheurer Ausdehnung, worin uns ein haupt-
mann von merkwürdig edler militärischer haltung herumführte, élève de
l’école militaire in constantinopel, der mir dann in der Wachstube, wo ich
zum 50. male caffeh trinken und rauchen mußte, von ihm ganz gut gezeich-
nete Pläne zeigte, etc. derselbe mann nun erzählte mir ganz ernsthaft, die
festung sey von sem, dem 4. sohn Adams erbaut, welcher auch syrien
(sham) seinen nahmen gegeben habe. ich kann übrigens nicht sagen, wie
höflich und human ich die türkischen Regierungsorgane allenthalben ge-
funden habe, ein Beyspiel für manche europäische regierung.
Während ich auf die erlaubniß, die citadelle zu sehen, in einer nahege-
legenen Apotheke wartete, traf ich in derselben mit dem Wienerflüchtling
hammerschmidt zusammen, der als Abdallaheffendi hier chef der militär-
spitäler ist. er nannte sich mir im verlaufe des gespräches, und ich nannte
ihm auf sein Begehren meinen nahmen, worüber er in große Bewegung
gerieth.
1 der mitte des 18. Jahrhunderts erbaute Al-Azem Palast in damaskus.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien