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April 1854
haglich, indem ich in meinem Bette unaufhörlich links und rechts rollte
und aus furcht, seekrank zu werden, nicht aufstehen wollte. endlich um 9
uhr des morgens legten wir an einem halbwegs geschützten Platze hinter
der stadt rhodus an, d.h. warfen den Anker aus und tanzten den ganzen
tag auf dieser stelle, ans land konnten wir nicht und ebensowenig in den
engen und seichten hafen einlaufen, am allerwenigsten aber weiterfahren,
da wir nicht mehr genug kohlen hatten, um bis smyrna zu kommen.
obwohl man am ende Alles gewöhnt, so war ich doch froh, als der ge-
strige tag vorüber war. gegen Abend beruhigte sich nämlich das meer, und
so ließ der capitaine heute bey tages Anbruch in den hafen fahren. vor 7
uhr landete ich mit meinen reisegefährten ebenfalls, und wir besahen uns
die stadt, die durch ihren mittelalterlich europäischen Anstrich einen sehr
angenehmen eindruck auf mich machte. man sieht eine menge schöne alte
häuser mit Wappen etc. das Judenquartier ist sehr groß, wir sahen eine
menge hübscher Judenmädchen, sie sprechen ein verdorbenes spanisch,
nur sie, nicht die christen, dürfen in der stadt wohnen, zum danke dafür,
daß die hunde die insel an soliman verriethen. dann sahen wir die strada
dei cavalieri, das haus des großmeisters und die kirche s. giovanni, jetzt
eine moschee. Wo der coloss stand, weiß man nicht, wohl am eingange
eines der beyden nebeneinanderliegenden häfen, die noch vorhandenen
Befestigungen sind in trümmern.
Wir begegneten der ganzen Bevölkerung des eben angekommenen fran-
zösischen dampfers, welcher Beyrut 48 stunden nach uns verlassen hatte,
tobins, heneages, der ganze Amerikanerpack etc.
nach 9 uhr fuhren wir ab und sind seitdem im Archipelagos, unter den
sporaden, kamen an cos, Pathmos etc. vorüber, durch eine unzahl großer
und kleiner inseln, felsen etc., alle nackt und kahl, dessen ungeachtet aber
mannigfaltig und interessant durch gestalt und lage, eine reizende fahrt,
bey sonnenuntergang waren wir im Angesichte von samos, welches wir
jedoch, so wie chios, bey nacht passiren werden.
unter der masse schmutziger orientalen, welche unser schiff füllen
und mit Weib, Kind, Harems etc. überall herumsitzen, befinden sich nebst
einem hyperekelhaften griechischen Bischofe, welcher die Verzweiflung
meiner engländer ausmacht, 2 sogenannte gouverneure einer stadt im
inneren kleinasiens, kaisarieh, welche vor ein paar monathen einen öster-
reichischen unterthan Abram Popovics mißhandelten, an ein kreuz bin-
den, einsperren und gassen kehren ließen und ihm zuletzt 30.000 Piaster
abpreßten, bloß, wie mir dieser arme teufel, der auch an Bord ist und ein
guter kerl zu seyn scheint, versicherte, als einen giaour. nun fand er mit-
tel, es der internunciatur zu wissen zu geben, und Bruck hat nun die ganze
Bagage mittelst 2 cavassen abholen lassen und wird als salomo zu recht
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien