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94 Tagebücher
wiß eine der grandiosesten Aussichten der Welt. Am selben tage machte
ich mit den damen und einer zahlreichen suite einen spazierritt in das
reizende thal der süßen Wässer und von da nach dem ochmeidán, wo die
früheren sultane sich im Pfeilschießen übten und zahlreiche säulen noch
jetzt den Ort, wohin ihre Pfeile flogen, bezeichnen, auch von hier hat man
eine superbe Aussicht über stambul, galata, das Arsenal und die serail-
spitze.
gestern ging ich mit vétsera und cohen nach stambul hinüber und in die
Bazaars, in denen wir 3–4 stunden lang herumstiegen, einen reich thum
und eine mannigfaltigkeit, welche selbst cairo weit überbiethen, wozu noch
die größere eleganz der Buden und des gebäudes und die Bequemlichkeit
kömmt, daß sie alle in einem ungeheuern gebäude vereinigt sind, statt wie
in Cairo, Damascus etc. zerstreut zu seyn. Wir flanirten dann noch in den
straßen stambuls herum, gingen dann über die Brücke, durch galata etc.
die tagesordnung hier im hause ist folgende: um 1 uhr sieht man sich zu-
erst beim déjeuner, dann wird öfters spazieren geritten, gegangen etc. um
7 ist diner, nach welchem man im salon bleibt, Whist, Billard, musik etc.
Außer der familie und dem unverheiratheten Bothschaftspersonale sind
tägliche gäste die cohens, Würtemberg (schiffsfähnrich) etc. um 10 ist
thee, nach welchem sich Alles zurückzieht.
gestern kam die Wiener landpost, bis zum 25., die vermählung des kai-
sers fand am 24. statt, also obligater Jubel und besoffene freudenfeste bey
dommayer etc., orden und Auszeichnungen ohne Zahl, und zwar zum er-
stenmahle an leute aller stände, künstler, gelehrte etc., was ich lobe, die
Amnestie aber beschränkt sich auf etwa 300 politisch verurtheilte, denen
die strafe ganz oder theilweise (!) erlassen wurde, und etwa ein dutzend
Marineoffiziere, denen die Rückkehr in die österreichischen Staaten gestat-
tet wird, der Belagerungsstand auch in italien aufgehoben.
[konstantinopel] 8. mai
Am 4. Abends hatten wir das hier sehr häufige Schauspiel einer großen
feuersbrunst, in constantinopel hart an der ersten Brücke, galata gegen-
über. Am selben Abende war die carolina, welche Preu, Brucks schwieger-
sohn, commandirt, hier eingelaufen.
Am tage darauf fuhren wir, d.h. Bruck, seine familie, ludolf, Walters-
kirchen, haymerle, mayer und ich in dem großen, sehr prächtig aussehen-
den Botschaftscaique1 nach Bujukdere, eine magnifique Fahrt, durch den
Bosphorus, links und rechts die schönsten landhäuser und Palläste, der
residenzpallast tscheragan des sultans, die Palläste der meisten großen
1 caique – türkische Barke.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien