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politisch ist er deutsch gesinnt, mit einer schwärmerey, die ich achte, aber
durchaus nicht theile, da mir in dieser großdeutschen richtung oesterreich
verloren geht. es ist eine bunte Parthey bey uns, welche diese richtung
verfolgt und für das „hand in hand gehen“ mit Preußen schwärmt, ego
non. dabey hat Bruck sein Auge auf die Presse geworfen und scheint, wie
redcliffe es im vorigen Jahre gethan hat, unsere regierung zu seinen An-
sichten fortreißen und nöthigen zu wollen. dazu hat er den literaten isidor
heller hier als seinen Privatsekretär mit, welcher in alle Welt schnaubende
antienglische und großdeutsche Artikel schreibt, doch scheinen mir die
chancen des gelingens sehr geringe, und das ende von dem Allen wird
wohl seyn, daß Bruck in ein paar monathen seine entlassung nehmen wird.
[konstantinopel] 21. may
vorgestern freytag fuhren wir abermals in großer gesellschaft nach den
süßen Wässern, wo mir unbegreiflicher Weise mitten aus einem Kreise von
herrn und damen von ein paar Zigeunerinnen mein regenschirm gestoh-
len wurde. vorher waren wir in eyub, wo wir dießmal die herrlichen türki-
schen gräber vollständig besichtigten und dann die Anhöhe erstiegen, von
welcher man eine superbe Aussicht hat, in der moschee wird der sandjak,
die fahne des Propheten, aufbewahrt.
gestern früh ging ich mit Bruck, Preu und haymerle in das große schöne
Bad sultan mehmud, um zum erstenmahle ein türkisches Bad zu nehmen.
die operation mit allen ihren torturen, vor- und nachruhe etc. dauerte
mehr als 3 stunden, und ich fühlte mich den ganzen tag matt und schläfrig.
morgen reise ich ab, mit dem dampfschiffe egitto, capitaine Poiret, und
denke, heute über 14 tage in Wien zu seyn.
Bruck und sein ganzes haus haben mich während dieser 3 Wochen mit
der größten freundlichkeit und Auszeichnung behandelt, schade daß das
hauswesen zu confus und namentlich die kost gar zu schlecht ist, als daß
man sich recht behaglich in demselben fühlen könnte. An diesem und an
manchem anderen erheblicheren übelstande ist seine schwägerinn ursa-
che, welche die frau im hause macht und keinen Begriff nicht nur von
einem vornehmen, sondern auch nur einem bürgerlichen haushalte und
von ordnung hat und auch sonst eine zwar gutmüthige aber hundsgemeine
Frau ist, deren Einfluß auf Bruck mir unerklärlich ist. Am meisten leiden
unter allem diesen die herren der internunziatur, und Weiss speyt feuer
und flamme.
die russen sollen die dobrudscha geräumt haben, bey rustschuk über
die donau gegangen seyn und nun silistria von allen seiten blokiren.
In Varna findet jetzt eine Zusammenkunft Omer Paschas mit St. Arn-
aud, raglan, den beyden Admirälen, dem seraskier und dem kapudan
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien