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Tagebücher124
hier spricht man von nichts mehr als dem Anlehen, welches durch das
unerhörte Pressen, das die regierung auf jede nur mögliche Art ausübt,
auch wohl zu stande kommen wird, es ist der letzte Blutstropfen, welcher
den leuten durch alle möglichen mittel ausgepreßt wird.
Ad captandam benevolentiam ist unter andern dingen auch eine „ver-
fassung“ erschienen mit landesversammlungen, welche auf die Berathung
der landesangelegenheiten keinen Einfluß nehmen, und Ausschüssen,
welche zu Beamtencollegien in der Art der congregazioni provinciali, also
des reichsrathes, zusammenschrumpfen. der eindruck war, wie natürlich,
null, nicht einmahl die Zeitungen sprachen am 2. tage mehr davon.1
mittlerweilen gehen unsere rüstungen ununterbrochen vorwärts, aber
die russen haben bereits die größere hälfte des sommers gewonnen und
dürften uns leicht noch bis zum herbste hinhalten können.
die franzosen sollen Jerusalem besetzen wollen – ! – so schrieb mir neu-
lich gödel aus Beyrut, ich gab den Brief öttl zur mittheilung an Bach.
ich hatte neulich eine lange conversation mit leop. neumann, einem
grundgescheidten kerl, der die verhältnisse der griechisch-russischen kir-
che, der Walachen etc. sehr genau kennt, er sagte mir soviel neues und
interessantes, daß ich ihn dringend aufforderte, über diesen vitalen gegen-
stand eine Broschüre heraus zu geben. unter andern frappirte mich seine
Bemerkung: wie die russische und die orthodox griechische kirche (zu wel-
cher sich alle nichtrussen griechischer confession, also auch die unseren
bekennen) zwey ganz verschiedene culte seyen. diesen gedanken hat man
nie zu exploitiren versucht.
georges Waldstein ist plötzlich gestorben, der fünfte seiner familie seit
9 Jahren.
ich sollte morgen mit Breuner auf ein paar tage nach grafenegg gehen,
doch ward er heute früh nach ungarn zu seiner sterbenden schwiegermut-
ter citirt,2 neulich war ich wieder in Baden und brachte einen recht ange-
nehmen Abend bey olga oustinoff zu, und zwar en tête-à-tête. Alexander
trubetzkoi ist hier. das Wetter ist unerträglich, beständig regen oder ge-
witterschwüle.
herzog v. victoria mit der regierungsbildung. die von Andrian angedeutete möglichkeit
eines thronwechsels zu isabellas schwester luisa fernanda, die mit Antoine d’orléans
herzog v. montpensier, einem sohn könig louis Philippes, verheiratet war, bewahrheitete
sich nicht.
1 gemeint sind die in einem handschreiben des kaisers an innenminister Bach v. 3.7.1854
mitgeteilten „leitenden grundzüge“ zur Ausarbeitung von landesstatuten.
2 graf August Breunner-enckevoirths schwiegermutter (die mutter seiner bereits 1837 ver-
storbenen Frau) Gräfin Rosina Esterházy starb am 2.8.1854.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien