Seite - 125 - in „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Band III
Bild der Seite - 125 -
Text der Seite - 125 -
12527.
Juli 1854
[Wien] 27. Juli
Wir sammeln enorme truppenmassen in galizien und siebenbürgen, die
Provinzen, und selbst Wien, sind von truppen beynahe entblößt, hieher
sollen truppen aus italien kommen, was jedenfalls beweist, daß man dort
nichts befürchtet und gut mit frankreich steht. ob aber die neuesten emeu-
ten in Parma und modena hierin nichts ändern werden, weiß ich nicht, es
scheint wirklich, als ob es in italien wieder gähre, und unmöglich wäre es
nicht, wenn rußland, von dessen Allianz mit der italienischen etc. ultra-
parthey in london neulich soviel die rede war, dabey die hand im spiele
hätte. offenbar liegt es in seinem höchsten interesse, uns auf dieser seite
zu paralysiren, wie es frankreich bereits durch die spanische revolution
zum theile beschäftigt sieht. es wäre auch nicht unmöglich, daß mazzini
und kossuth, welche schon seit lange gegen eine Allianz der Westmächte
mit österreich agitiren, diese miniaturrevolutionen losgelassen hätten, um
uns zu schrecken und in die Arme rußlands zu treiben.
soviel ist gewiß, daß wir für den Augenblick heftig rüsten und zwar di-
recte gegen rußland. die truppen aus dem Banate werden nordwärts gezo-
gen, und so scheint die idée der Besetzung der Wallachey aufgegeben, eine
unglückselige neue Phase, denn wir versäumen dadurch das einzige, was
wirklich in unserem interesse liegt, und geben uns nach der convention
vom 14. Juny ein klägliches démenti.
das Anlehen geht clopin clopant trotz alles lärmens in den Zeitungen
und den unerhörten mitteln, welche die regierung anwendet, es sind eben
die kräfte nicht vorhanden.
ich war ein paar tage in Baden und beynahe die ganze Zeit mit und bey
olga oustinoff, es thut mir ordentlich wohl, wieder einmahl eine wahr-
haft distinguirte frau zu sehen. gestern Abend fuhr ich herein, weil heute
Audienzen sind, und ich es denn doch für möglich hielt, daß ich bestellt
worden seyn könnte, das ist aber nicht der fall. morgen soll der kaiser
auf 8 Tage nach Ischel gehen, in diesem Augenblicke finde ich das ziemlich
unpassend.
neulich mußte ich nolens volens bey henriette todesco in der Brühl es-
sen, an einem fürchterlich heißen sonntage. tags darauf hatten wir hier
das seltene schauspiel eines großen feuers, der schottenhof brannte bey-
nahe 20 stunden lang.
heute fragte mich mrs. norton, ob ich nichts dagegen hätte, daß ihre
freundinn lady lucy gordon (wie es scheint eine übersetzerinn von Pro-
fession) mein oesterreich und seine Zukunft ins englische übersetzte. das
ding ist aber so veraltet und für ein englisches Publikum so unverständ-
lich, daß ich ihr abrieth.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien