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wieder in Baden, und zwar mit mrs. norton. diese dürfte uns bald verlas-
sen, da ihr sohn schon in 3–4 tagen an seinen neuen Bestimmungsort Paris
abgeht,1 unsere intimität nimmt mit jedem tage zu, ich chaperonnire sie
überall hin, wo es was zu sehen gibt, Augarten, Prater, schönbrunn, Artha-
bers villa, in die Ateliers der maler, gallerieen und Boutiquen, neulich in
das Burgtheater, als man das lied der glocke und Wallensteins lager gab,
etc. es ist mir oft interessant, sie mit olga zu vergleichen, so unendlich ver-
schieden und doch in manchem wieder so ähnlich. es ist ein eigener Zufall,
der mir in dieser letzten Zeit einen so angenehmen und intimen umgang
mit interessanten frauen zugeführt hat, wie ich dessen schon seit Jahren
beynahe ganz entwöhnt war, als wäre es eine fügung des schicksales, wel-
ches mich stärken und auffrischen will in dieser Periode der krisis, wo mir
dieß gerade nothwendiger ist als je.
der kaiser ist seit 1. dieses monats zurück. ich schrieb am nämlichen
tage an grünne, um ihn an meine Audienz zu erinnern, setzte aber aus-
drücklich hinzu, daß ich ihn nicht drängen, sondern die Wahl des günstigen
momentes seinem ermessen überlassen wolle.2 darauf habe ich noch keine
Antwort, während er mir sonst immer auf der minute antwortete, es scheint
also, daß er auf einen geeigneten Augenblick wartet, um die sache dem kai-
ser vorzutragen. dazu ist freylich jetzt gerade kein günstiger moment. ver-
liebt seyn3 und krieg führen müssen, dazwischen bleibt für andere dinge
wenig Zeit. in einigen tagen soll er, wie ich höre, eine 4wöchentliche Berei-
sung der an den russischen grenzen stehenden truppen antreten, so weit
sind wir schon. Was mich betrifft, so erwarte ich, solange er hier ist, jeden
tag zur Audienz bestellt zu werden, was ich sehr wünschen würde, um
einmahl zu einer entscheidung zu kommen. ist der kaiser einmahl fort, so
habe auch ich, solange er abwesend ist, hier nichts weiteres zu thun, ohne
übrigens recht zu wissen, wie ich diesen kurzen Zwischenraum anwenden
soll? obwohl ich viele gründe habe, auf einen glücklichen Ausgang der ge-
genwärtigen krise zu hoffen, namentlich die seit einem Jahre so sehr ver-
1 fletcher norton wurde Attaché an der britischen Botschaft in Paris, wo er bereits 1859 mit
30 Jahren starb.
2 das konzept des Briefes an generaladjutant graf karl grünne, datiert 2.9.1854, in k. 115,
umschlag 666. Andrian schreibt darin, er habe sein gesuch um eine Audienz nach dem
rat grünnes „ausdrücklich nicht in meiner eigenschaft als geheimer kämmerer, sondern
lediglich als unterthan seiner majestät“ eingebracht und warte jetzt mit großer sehnsucht
auf die entscheidung des kaisers: „ich kann nur wiederholen, daß meine ganze existenz
von der gewährung dieses gesuchs abhängt, und daß ich daher mein schicksal vertrau-
ensvoll in die hände eurer exzellenz lege, die Art und Weise, den günstigen moment sowie
überhaupt Alles ihrem ermessen und ihrer freundschaftlichen theilnahme überlassend.“
3 kaiser franz Joseph war seit 24.4.1854 mit herzogin elisabeth in Bayern verheiratet.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien