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September 1854
eine lächerliche scene mit mucki Waldstein begünstigt, ich hoffe und
glaube, daß es nichts weiter seyn wird qu’une légère ébullition, obwohl bey
ihrem und überhaupt dem englischen character eher das gegentheil zu
befürchten war, ich sage, daß ich es hoffe, weil ich besonders auf ein dauer-
haftes freundschaftsverhältniß mit ihr Werth lege, welchem aber stürme
nicht günstig sind. sie hat mir von venedig geschrieben und dürfte in etwa
8–10 tagen auf ihrer rückreise nach england wieder hier durch kommen.
montag, den 18. morgens fuhr sie ab, und ich kam am selben tage ge-
schäfte halber auf einige stunden in die stadt.
tags darauf starb mein onkel troyer, welche nachricht ich jedoch erst
am folgenden tage erhielt und alsobald hereinkam, um seine familie zu
besuchen, für die dieser verlust auch in ökonomischer Beziehung ein un-
ersetzlicher schlag ist. tags darauf kam ich abermals zur einsegnung der
leiche nach Wien. egbert und celine Belcredi waren ebenfalls anwesend.
erzherzoginn marie war zur nämlichen Zeit am typhus schwer, beynahe
hoffnungslos erkrankt zum größten Jammer gabrielles, welche ihr außer-
ordentlich zugethan ist, ich war eben bey dieser, als sie die letzte öhlung
erhielt, nun ist sie schon außer gefahr und erholt sich rasch.
nachdem wir bis inclusive 21. ein herrliches, fast drückend heißes Wet-
ter gehabt hatten, schlug es nun plötzlich um, und die letzten tagen waren
kalt, windig und zum theile regnerisch. gestern kam ich also von Baden
definitiv herein und wohne hier im Hôtel Daum, da sich mein Schicksal
ohnehin bald entscheiden dürfte, so habe ich es für unnütz gehalten, eine
Wohnung zu nehmen.
der kaiser ist seit mehrern tagen zurück, und ich bin für die morgige
Audienz aufgeschrieben, ich denke, da mit ihm ganz von der leber weg
zu sprechen, nicht nur von meiner persönlichen lage, sondern überhaupt
eine möglichst ausführliche explication mit ihm zu haben, welche ohnehin
nothwendig ist für den fall, als ich nun zu ihm in ein dienstliches ver-
hältniß treten sollte, was ich ja nicht als ein Almosen, sondern als einen
politischen Act auffassen will und muß. ich rechne dabey auf seine Jugend
und empfänglichkeit, und es ist jedenfalls für mich die würdevollste und
wahrscheinlich auch die vortheilhafteste Art vor ihn zu treten. mrs. nor-
ton, welche von der sache kenntniß hat, nimmt daran ein äußerst lebhaftes
sowohl persönliches als politisches interesse und hat mir darüber erst ge-
stern einen sehr ausführlichen und gescheidten Brief geschrieben.1 Jeden-
falls wird die morgige Audienz einen Wendepunkt für mich abgeben.
glücklicherweise scheinen mir die ereignisse in die hände zu arbeiten,
der Bruch mit rußland wird immer unvermeidlicher, und es wird täglich
1 die Briefe caroline nortons an Andrian liegen in k. 115, umschlag 666.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien