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Dezember 1854
seyn, welches uns so eben die hände gebunden zu haben wähnte, und dessen
könig sich mit seiner vor 3 tagen1 gehaltenen, friede und triumph athmen-
den thronrede nun gewaltig blamirt hat. so sehr ich diesen ihre niederlage
gönne, so wünsche ich doch, daß es sich beym nähern Bekanntwerden der
Détails zeigen möge, daß der Anschein von Perfidie, welcher jetzt allerdings
auf uns haftet, ein falscher sey, und daß wir uns aus freyer Wahl entschlossen
haben, nicht aber einem moralischen Zwange nachgaben. Palmerstons reise
nach Paris scheint allerdings hierauf nicht ohne Einfluß geblieben zu seyn.
dem mag seyn wie ihm wolle, die Würfel sind gefallen.
[Wien] 9. dezember
der vertrag vom 2. ist noch nicht publicirt, doch erfährt man, daß wir in
folge dessen wieder eine und zwar die letzte sommation an rußland werden
abgehen lassen, worin die 4 Punkte,2 jedoch dießmal mit materiellen ga-
rantieen, daher schleifung sebastopols und aller kriegshäfen im schwarzen
Meere, Auflösung der russischen Flotte, Abtretung des Gebiethes der Donau-
mündungen und die kriegskostenentschädigung, begehrt werden, erfolgt bis
1. Jänner, andere sagen bis 1. märz, keine unbedingt zustimmende Antwort,
so soll die offensiv- und defensivallianz ipso facto in Wirksamkeit treten.
Überwunden ist also die halbheit und der innere kampf, der uns zu kei-
nem freyen entschlusse kommen läßt, bey uns noch nicht, sondern es ist der
letzte verzweiflungsvolle Versuch, uns die Nothwendigkeit eines Entschlus-
ses zu ersparen. man hat uns von london und Paris aus die daumschrauben
angelegt, mit kossuth und den Polen gedroht, et c’est ainsi que le courage
nous est venu. hoffen wir, daß rußland diese Proposition nicht annimmt
(ich bin davon überzeugt), sonst wäre das resultat wieder eine armselige
replâtrage anstatt der gehofften radicalen cur. Was aber hätte frankreich
von der ganzen sache, wenn ein friede auf solcher Basis zustande käme?
die russen hier affectiren jetzt heitere gesichter und die sache als un-
wichtig zu nehmen, nicht so die deutschen diplomätchen, die mit nationa-
ler schwerfälligkeit ihren Ärger nicht verbergen können.
1 Am 30.11.1854.
2 das am 8.8.1854 in einer note des englischen und französischen gesandten an den öster-
reichischen Außenminister formulierte minimalprogramm der Westmächte für verhand-
lungen mit russland: Aufgabe des russischen Protektorats über die donaufürstentümer
und Serbien und gemeinsame Garantie der Autonomie dieser Gebiete durch alle Mächte;
Freiheit der Schifffahrt auf der Donau und ihren Mündungen; Revision des Dardanellen-
vertrags (sperre der meerengen für alle nichttürkischen kriegsschiffe) im sinn des gleich-
gewichts der Macht in Europa; Aufgabe des russischen Anspruchs auf Schirmherrschaft
über die christliche Bevölkerung der türkei bei gleichzeitiger gemeinsamer garantie der
religiösen Privilegien der christen im osmanischen reich durch alle großmächte.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien