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und halte den krieg für unausweichlich und nahe bevorstehend, in frank-
furt haben wir eine schlappe erlitten, da die unverweilte mobilisirung ab-
gelehnt worden ist, wird diese neuerlichste russische demonstration die
deutschen fürsten eines Besseren belehren?
mathilde Berchtold ist hier, ihr mann sterbend.1 gabrielle ist heute früh
nach ofen abgereist, für mich ein großer verlust.
[Wien] 19. februar
lord John russell soll als specialbevollmächtigter zu den conferenzen kom-
men, eine höchst sonderbare Wahl, geschieht wohl auch nur, um ihn aus
england zu entfernen,2 seit ein paar tagen zweifelt man übrigens wieder
an seiner hierherkunft, überhaupt an dem Zustandekommen von confe-
renzen, wozu auch, da an ein resultat derselben nicht zu denken ist? Weder
england noch frankreich, und dieses letztere, welches sich jetzt lediglich
auf seine Armée stützt, noch viel weniger, können bey den gegenwärtigen
misérablen resultaten des feldzuges etwas Wesentliches von ihren for-
derungen ablassen, und ebensowenig kann und wird es rußland, übrigens
gewinnt frankreich respective Bourqueney hier täglich mehr terrain und
läuft england den rang ab, welches so schlecht als möglich repraesentirt
ist. Westmoreland ist ein stümper und sein ganzes Personale um nichts
besser als er. mrs. norton, die jetzt wieder in london ist, schreibt mir ziem-
lich fleißig über diese und andere Gegenstände.3
Warrens wird vom 25. angefangen eine neue Zeitung herausgeben.4 man
spricht von dem bevorstehenden sturze kempen’s, er stirbt an seiner rus-
senfreundlichkeit und an der unterdrückung des lloyd,5 so entstehen und
wachsen allmälig die moralischen momente, in diesem falle die macht der
Presse und der öffentlichen meinung.
1 graf Anton Berchtold starb erst 1875.
2 tatsächlich übernahm lord John russell, Außenminister des im Jänner 1855 zurückgetre-
tenen koalitionskabinetts Aberdeen und nach dem Austritt der Peeliten aus der neuen re-
gierung Palmerston ab 23. februar kolonialminister, die leitung der britischen delegation
der am 15.3.1855 offiziell eröffneten Wiener Konferenzen.
3 Die Briefe Caroline Nortons an Andrian befinden sich mit einer Ausnahme (in K. 114, Um-
schlag 663) in k. 115, umschlag 666.
4 An stelle des verbotenen lloyd (vgl. eintrag v. 27.12.1854) gab eduard Warrens ab
25.2.1855 die „österreichische Zeitung“ heraus.
5 Zu einer Ablöse von Polizeiminister frh. Johann v. kempen kam es nicht, er blieb bis 1859
im Amt. An seine schwester gabrielle schrieb Andrian am 21.2.1855 (k. 114, umschlag
662): „on prétend que kempen chancelle, und wenn man bey uns so etwas sagt, so wird es
immer nach einiger Zeit wahr, die russenfreundlichkeit bricht ihm den hals und mehr als
dieses sein verboth des lloyd, an diesem geht er zu grunde, das ist auch wieder ein Beleg
für die sonderbarkeit unserer Zustände.“
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien