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erklären etc. müßte. dann kann und mag ich auch wieder aus mehreren
ursachen jetzt noch nicht von hier fort. Aber ich fange in dieser unbehag-
lichkeit an fidgetty zu werden.
man erwartet in einigen tagen drouin del’huys aus Paris, und dann wird
die conferenz wohl zu einer entscheidung kommen. Bisher hat man hin
und her debattirt, sich über die minderen Punkte theilweise geeinigt, die
hauptsache aber, die freyheit des schwarzen meeres sammt ihren corolla-
rien, neuen instructionen überlassen, die nun zugleich mit drouindel’huys
eintreffen sollen. ich glaube kaum, daß ein friedliches resultat erzielt wird,
und dieser glaube scheint nach den lächerlichen friedenshoffnungen der
letzten tage nunmehr ein allgemeiner zu werden. doch hoffen russen,
Preußen und Anhang noch immer, daß oesterreich, dessen hauptforderun-
gen ja bewilligt worden seyen, an dem kriege nicht theilnehmen werde. ich
halte auch dieses für unmöglich.
Alle inneren fragen etc. sind natürlich in diesem Augenblicke ajournirt.
heute war ich mit lord dufferin, der mit lord John russell hier und mir
durch seine tante mrs. norton empfohlen ist, im Arsenal, ein riesenbau.1
[Wien] 7. April charsamstag
es ist, nachdem wir wieder sehr rauhes Wetter gehabt, jetzt mit einem
mahle ganz frühjahr geworden, derley übergangsperioden sind mir im-
mer unangenehm, physisch sowohl als moralisch, denn sie erinnern mich
an die schnelligkeit, mit der die Zeit dahinstreicht, während ich immer
abwartend am Strome sitze, rusticus expectat dum defluat amnis,2 das ist
zwar die Bestimmung meines lebens, und ich vertraue mit Zuversicht auf
meinen stern, daß auch die Zeit des handelns für mich einst kommen wird,
aber zuweilen wird mir dabey doch bange.
drouin delhuys kömmt heute, und ich denke, in etwa 14 tagen muß die
frage, ob krieg ob frieden? entschieden seyn. vorhersagen läßt sich nichts,
die Westmächte haben unserer leidenschaftlichen friedenssucht zu liebe
ihre forderungen sehr ermäßigt, ob aber rußland es mit seiner ehre und
mit den forderungen ihrer, wie es scheint, wirklich sehr aufgestachelten
Nationaleitelkeit verträglich finden wird, selbst auf diese einzugehen? muß
sich erst zeigen. mittlerweilen hängt sich Alles furchtsame, mattherzige,
von heute auf morgen denkende, lediglich materieller speculation und Jü-
1 die gebäude des von 1849 bis 1856 (schlusssteinlegung am 8.5.1856) im süden Wiens au-
ßerhalb des linienwalls (heute gürtel) errichteten Artilleriearsenals bildeten ein rechteck
von 688 auf 480 meter. das Arsenal war teil der als reaktion auf die revolution von 1848
errichteten defensivkasernen um Wien als sicherung gegen zukünftige innere unruhen.
2 horaz, Briefe i, 2, 41.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien