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18725.
Juni 1855
und dann wieder hieher zurückzukehren und die concession zu erwirken.
einstweilen hat mich Bruck als seinen mittelsmann in dieser Angelegenheit
aufgestellt, und die correspondenz zur einleitung dieses unternehmens,
welches eine große Zukunft verspricht, geht durch mich. constituirt sich die
gesellschaft, kömmt die sache zu stande, so würde ich die ganze executive
leitung übernehmen, also Beschäftigung genug haben.
überhaupt häufen sich jetzt die Anträge fremder unternehmen. roth-
schild und einige londoner häuser wollen die italienischen Bahnen pachten,
eine creditbank ist von Pariser Banquiers vorgeschlagen worden etc., nur
mein altes lieblingsproject der stadterweiterung, recte verbauung des gla-
cis scheitert an den Zöpfen und knöpfen und an der Angst des ritterlichen
kaisers vor seinen getreuen unterthanen, ich habe auch darüber schon mit
Bruck gesprochen, kömmt Zeit, kömmt rath.
diese unerwartete industrielle, spekulative thätigkeit ist mir eigentlich
weder homogen noch sehr befriedigend, aber es ist wenigstens eine thätigkeit.
Zum robert macaire, zum speculanten bin ich nicht geboren, ich sehe voraus,
daß diese allgemeine Zeitrichtung nun auch uns überschwemmen wird.
ich habe mir diese dinge wie natürlich viel hin und her überlegt. dieses
ewige Zuwarten, die unthätigkeit kann nicht länger dauern, sie reibt mich
physisch und moralisch auf und für einen ungewissen Zweck, den ich mögli-
cherweise nicht erlebe, eine angemessene verwendung im öffentlichen dien-
ste habe ich vor der hand, und solange die jetzigen verhältnisse dauern,
nicht zu erwarten, da Buol nicht will und nicht kann, ich von Bach nichts
annehmen will, und Bruck mir nichts zu biethen hat. Am liebsten wäre mir
eine solche (wenn sonst angemessen) allerdings gewesen als Brücke zu einer
zukünftigen größeren Wirksamkeit und als ein geständniß, daß man mich
nicht entbehren könne.
so blieb mir, wenn ich mich nicht auf diese industriellen Beschäftigun-
gen werfen wollte, welche mir Bruck unaufhörlich vorhält, nur eines übrig:
das Ausland, und dieses wäre mir, wenn ich meiner neigung, meiner lei-
denschaft folgen könnte, weitaus das liebste, als neuer coriolan, und der
moment dazu vollkommen geeignet, trotz der patte de velours, welche die
Westmächte jetzt noch gegen uns affektiren, sind sie doch, und das ist sehr
begreiflich, über die Perfidie, mit welcher wir sie eben jetzt im stiche ge-
lassen haben, tief erbittert, und wenn dazu noch die überzeugung kommen
wird (was wahrscheinlich bald geschehen dürfte), daß sie ohne uns mit ei-
nem regulären kriege gegen rußland wenig ausrichten, ein bloßer seekrieg
aber eine unendliche Zeit dauern dürfte, dann werden sie sehr bereitwillig
seyn, zu andern, revolutionären mitteln zu greifen (england würde, glaube
ich, schon jetzt nicht den geringsten Anstand nehmen) oder uns durch sehr
handgreifliche demonstrationen, sey es nun auf dem felde der finanzen
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien