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oder der inneren Politik, zu einer entscheidung für oder gegen sie zu zwin-
gen. das wäre dann ein vortreffliches feld für mich, und ich brauchte keiner
meiner überzeugungen untreu zu werden.
Aber, ich würde mir dadurch den rückweg nach oesterreich versperren,
ganz außerordentliche ereignisse ausgenommen, ich verlöre den Boden, in
dem ich wurzle, müßte fremdes unsicheres gnadenbrod essen, käme auf
das abschüssige terrain eines emigranten und politischen Aventuriers, den
die große Politik der cabinette jedem luftzuge aufopfert, und dieses gerade
jetzt, wo eine reform unserer inneren Zustände und im entgegen[ge]setzten
falle ein totaler umsturz immer näher heranrückt.
diese rücksichten haben mich bestimmt, vorerst die richtung einzuschla-
gen, in welche Bruck mich fast mit gewalt drängen will, übrigens behalte ich
freye hand und kann noch ferner thun, was mir beliebt. ich weiß, daß man
von england aus an mich denkt.
unsere Politik wird immer jämmerlicher, nach der Perfidie, im letzten
Augenblicke den conferenzen (am 4. selbst) einen vorschlag zu machen, den
unsere sogenannten Alliirten nicht annehmen zu können glaubten, der also
keinesfalls vorläufig mit ihnen verabredet war, um uns dadurch eine hin-
terthür zu öffnen, den moralischen consequenzen unserer Allianz zu ent-
schlüpfen, kömmt nun das allmälige hinabrutschen in die russischen Arme.
Buol ist, glaube ich, de bonne foi, wenn er allerwärts sagt und schreibt, der
vertrag vom 2. december bestehe noch immer, und wir seyen noch immer
aufrichtige Alliirte der Westmächte, aber der Boden gleitet ihm unter den
füßen hinweg, ich glaube, in wenig monathen ist er abgetakelt, denn der
ganze haß der russen und ihrer freunde geht gegen ihn, und wahrschein-
lich ist dann Bruck sein nachfolger, möge er dann seine macht wenigstens
im inneren zum guten anwenden, wenn dieses noch auf ruhigem Wege mög-
lich ist.
die reduction, recte Beurlaubung der Armée um 140.000 mann und die
Auseinanderlegung der in galizien concentrirten corps ist bereits erschienen.
ich erwarte in 3–4 tagen nachricht aus london von gabrieli über den
erfolg seiner ersten schritte und den Zeitpunkt seiner rückkehr hierher,
darnach werde ich meine Projecte einrichten. kann ich, so möchte ich am 1.
oder 2. von hier nach kissingen abreisen und dort wenigstens 3 Wochen die
cur brauchen, bis gabrieli & comp. wieder hierher kommen, habe ich jetzt
ohnehin hier nichts zu thun.
Am 1. reist gabrielle neuwall ab, die arme frau hat jetzt eine peinliche
Zeit durchzumachen, was natürlich auch auf mich rückwirkt, ihr mann
benimmt sich in dieser sache so misérabel wie möglich und foltert sie mit
üblem humor und nadelstichen. Zu mehrerem hat er weder courage noch
energie genug, das gibt mir hoffnung, daß er sich endlich raison machen
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien