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auf den nahen tod des königs, steht in den allerengsten verbindungen mit
der königinn victoria und dem Prinzen Albert und rechnet auf eine erobe-
rung deutschlands durch Preußen, wobey oesterreich entweder ganz süd-
deutschland oder Bayern erhalten sollte. der haß gegen den jetzigen könig
von Preußen übersteigt alle grenzen, uns betrachtet man als nicht mehr zu
deutschland gehörig.
diese Ansichten theilt auch der kalte und erfahrene stockmar, den ich
leider hier nicht traf, da er eben in franzensbad ist.
ich hatte gestern vormittag in callenberg eine nochmalige lange unter-
redung mit dem herzoge, welcher sodann um 12 uhr abfuhr, nachdem er
mich noch vorher seiner gemahlinn vorgestellt hatte. er sprach mit großen
lobeserhebungen vom kaiser louis napoléon, welcher großes interesse und
ein sehr richtiges verständniß der deutschen Angelegenheiten habe, daß er
kein freund oesterreichs (in dieser Beziehung) sey, sprach er unverholen
aus, meinte übrigens, daß die richtig aufgefaßten interessen oesterreichs
mit den Bestrebungen der preußisch-gothanerparthey nicht nur in keinem
Widerspruche ständen, sondern sogar hand in hand gingen, eine Ansicht,
die ich insoferne theile, als eine Auftheilung deutschlands zwischen uns
und Preußen allerdings das einzige mittel wäre, diesem système de bascule
ein ende zu machen, welches uns ebensogut als Preußen paralysirt, natür-
lich sprach ich mich über diesen delicaten Punkt nicht aus, obwol man mir
sagt, qu’il en a complétement pris son parti, jedoch meinte er, daß, wenn wir
den jetzt so günstigen moment der unfähigkeit des gegenwärtigen königs
von Preußen nicht benützten, dieser nie mehr wiederkehren würde. ich wie-
derholte das gestern gesagte und fügte hinzu, daß vom deutschen stand-
punkte aus es gegenwärtig vor Allem Anderen darauf ankomme, daß der
jetzige krieg ein möglichst allgemeiner werde und europäische dimensio-
nen annehme, d.h. den Zweck voranstelle, das russische übergewicht in eu-
ropa zu brechen, indem nur in einem solchen falle ein remaniement der ge-
sammten europäischen politischen verhältnisse zu erreichen sey, während,
wenn dieser krieg im sande verliefe, auf Jahre hinaus keine gelegenheit
dazu zu erwarten sey, und daß england vor Allem hierzu mitwirken müsse,
daß, wenn die Westmächte wirklich so weit gehende Absichten in Betreff
Polens hätten, wie mich der herzog namentlich in Betreff louis napoléons
versicherte, sie diese, unbekümmert um den ersten schrecken, welchen dieß
uns verursachen werde, öffentlich ausprechen sollten, der evidente vor
theil,
welcher uns daraus erwüchse, verbunden mit einer gewissen ebenso evi-
denten douce violence von der andern seite, würde uns in kurzer Zeit zur
Besinnung bringen.
im ganzen scheint mir der herzog ein ziemlich getreuer repraesentant
des deutschen liberaldemocratischen mittelstandes, des honetteren theiles
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien