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2011.
August 1855
der Bewegung von 1848, damit mag man etwa in england ausreichen, auf
dem continente aber, wo Alles erst geschaffen werden muß, ist mehr erfor-
derlich. Als Werkzeug mag er zu brauchen, auch zu mißbrauchen seyn, zum
leiter einer Bewegung wie diese taugt er nicht. Auch mir ist er hauptsäch-
lich durch seine verbindungen mit england etc. von Bedeutung.1 daher hat
er auch, wie kaum anders zu erwarten, sympathieen für Bach’s Beamtenre-
giment und centralisation und tiefe Abneigung gegen jede ständische und
sogenannte Junkerrichtung.
und doch wird es für die deutschen einheitsbestrebungen immer das
größte hinderniß bleiben, daß durch fehler von beyden seiten die Aristocra-
tie ihnen entfremdet worden ist, während sie doch naturgemäß gerade auf
eine solche richtung hingewiesen wäre, das habe ich auch hier wiederholt
geäußert und die leute darauf aufmerksam gemacht, aber auf diesem ohre
scheinen sie taub. soll das ganze nicht in rohe democratie umschlagen, so
braucht man vor Allem eine Parthey der gentlemen, und diese findet man
unstreitig unter der Aristokratie häufiger als irgendwo sonst. Am ende ist ja
alle Politik nur mittel, Zweck kann nur die hebung, die sittliche veredlung
der nation seyn, die Pöbelherrschaft aber drückt sie herab.
drouin del’huys soll, als er von Wien zurückkam, von kaiser franz Joseph
gesagt haben: il n’a ni tête ni cœur, und diese Ansicht verbreitet sich jetzt
allenthalben, man erinnert sich, wie er 1850 unter den günstigsten Auspi-
cien gegen Preußen im letzten momente ebenfalls zurückzog, über unsere
inneren Zustände waren und sind sie nicht recht im klaren mit Ausnahme
der finanziellen lage, welche offen am tage liegt.
nachdem der herzog mit samwer, gerstäcker (dem bekannten reisen-
den) und einigen anderen herrn abgefahren war, fuhr ich mit dessen ca-
binetrath herrn v. meyern, den ich von frankfurt her kannte, nach dem
sogenannten Affenthurm, welchen Arthur mensdorff gebaut hat,2 und den
mir der herzog zeigen wollte, da ich ihm davon gesprochen hatte, der herzog
engagirte mich wiederholt, ihn einmahl auf längere Zeit hier oder in rein-
hardsbrunn zu besuchen, und wollte mich noch im letzten Augenblicke, da
er hörte, daß ich Jäger sey, auf das Jagdschloß oberhof, wohin er eben fuhr,
mitnehmen, doch dankte ich, da es meine Pläne dérangirt hätte.
ich aß bey francke, der mir mit der größten freundlichkeit sein haus
angebothen hat, und blieb den ganzen nachmittag und Abend mit und bey
ihm, er hat eine sehr liebenswürdige frau, eine tochter niebuhrs, und ein
1 herzog ernst ii. v. sachsen-coburg-gotha war der Bruder von Prinz Albert und damit
schwager von königin victoria.
2 die mutter graf Arthur mensdorff-Pouillys, herzogin sophie von sachsen-coburg-saal-
feld, war eine tante des herzogs, daher die Beziehung zu coburg.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien