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Tagebücher204
weiter vorzugehen.1 gabrielle neuwall hat wieder eine Periode häuslicher
stürme zu bestehen gehabt, die Ärmste, und will auf einige monate mit
ihrem manne nach dem südlichen frankreich reisen, um ihn zu calmiren,
ich habe ihr geschrieben, sie möge nach ihrem eigenen urtheile handeln, es
jedoch wohl überlegen, daß sie sich für die Zukunft nicht die hände binde
in einer momentanen Aufwallung ihres vortrefflichen Gemüthes.
Was ich in coburg gesehen und erfahren, wird mir noch lange stoff zum
nachdenken geben, es ist ohne Zweifel ein knotenpunkt für die deutschen
und manche noch über deutschland hinausreichenden Pläne, Aussichten
und Bestrebungen. durch die coburgs, stockmar, samwer, francke und
noch manche Andere laufen viele fäden von hier aus nach allen seiten, und
sie haben zur organisirung ihrer Partey in deutschland Anfänge mit bedeu-
tendem erfolge gemacht, obwohl diese mit der nämlichen unklarheit, wie
dieses im Jahre 1848 der fall war, noch immer die sogenannte „freiheit“ mit
der einheitsfrage in deutschland zusammenwerfen. Also wieder die grund-
rechte?! Practisch erscheinen mir nur die, welche tout crûment eine theilung
zwischen uns und Preußen wollen, und die Zahl derselben nimmt zu.
linz 9. August Abends
vorgestern den 7. gegen 7 uhr Abends fuhr ich von mittelstetten ab, der
Abschied von diesen vortrefflichen Leuten ward mir beynahe schwer. Mal-
chen fuhr bis schwabmünchen mit mir. nach 9 war ich in Augsburg und
traf leopold Andrian am Bahnhofe, ich übernachtete bey den drey moh-
ren und fuhr tags darauf um 9 wieder fort, leopold Andrian und max dü-
rich fanden sich am Bahnhofe ein. um 10 war ich in donauwörth und ging
gleich aufs dampfschiff, gestern wie heute hatten wir beynahe fortwährend
strömenden regen, was die ohnehin langweilige donaureise um nichts an-
genehmer machte, ich übernachtete gestern in regensburg in einem elen-
den gasthofe „Zum dampfschiff“ und war heute 6 uhr nachmittag hier.
morgen zwischen 3 und 4 uhr hoffe ich in Wien zu seyn.
die einsamkeit und verkehrslosigkeit auf der donau und die öde ihrer
ufer frappirte mich dießmal wie immer, das soll die „Pulsader europas“
seyn!? mehr aber als je frappirte mich dießmal, wie so gar stationär, still
und spießbürgerlich das Altbayern ist, der wahre klassische Boden des ca-
tholicismus, herwärts von nürnberg hört alles geistige leben, alles inter-
esse außer am Biere auf. da war selbst das oesterreich vor 1848 rühriger,
das jetzige ist ein Pandaemonium von leidenschaften, von verständiger
und stupider thätigkeit, Alles, nur keine stagnirende ruhe, und das ist
1 gemeint sind die initiativen zur gewinnung englischen kapitals für den Bau der Bahnlinie
Wien-salzburg.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien