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August 1855
jener herren in vorübergehende verbindung treten will, gegen dessen ge-
nossenschaft aber in seinem eigenen nahmen ich protestiren werde. Bruck
scheint hier weder das terrain noch die Personen gut zu kennen und über-
haupt wenig wählerisch zu seyn, so wird er dann die dupe jedes schwind-
lers. Auch cordon, den ehemaligen kriegsminister, hat er mit der sache in
verbindung gebracht, wogegen ich übrigens nichts einzuwenden habe.
ich veranstaltete also noch gestern eine Zusammenkunft mit Blühdorn
bey cordon, und wir kamen überein, daß ich an gabrielli, Blühdorn (der
entsetzlich schwätzte und scharwenzelte) an seine committenten schrei-
ben werde, damit diese sich in london besprechen und sich zu einer gesell-
schaft zu verschmelzen trachten sollten, was ich auch heute gethan habe.
Wien ist zum verzweifeln langweilig und leer, dazu das Wetter herbst-
lich und meist regnerisch, wenn es halbweges schön ist, fahre ich nach Ba-
den, heute schon das dritte mahl, obwohl ich außer gabrielle nicht viel Be-
sonderes dort finde. Heute ist Gabriele Neuwall von Neuhaus angekommen
und gedenkt, wie sie schreibt, bis zum 20. zu bleiben. morgen werde ich sie
hoffentlich sehen.
der krieg richtet sich in europa häuslich ein, auf Jahre, es wird ganz
langsam ein Weltkrieg, unser verhältniß zu den Westmächten wird immer
gespannter. italien und italienische reformen hört man wieder in Paris und
london proclamiren, Polen weniger, am ende tritt noch Preußen hinter un-
serm rücken zu den Westmächten über, kurz Alles hängt voll Wolken, wie
kann man da auf finanzielle Reformen hoffen? Es scheint übrigens wirklich
seit einiger Zeit, als ob man in england den von mir empfohlenen ton gegen
uns anschlagen wolle, die Journale, namentlich die times, sprechen von
einer coalition mit dem liberalismus, den deutschen und italienischen na-
tionalen idéen etc., offenbar um uns zu drohen und zu einer entschiedenen
theilnahme zu bestimmen, das ist das einzige, was bey uns noch allenfalls
wirken kann, und das sage ich seit monaten Jedem, der es hören will, den
englischen ministern durch mrs. norton, dem herzoge von coburg, stock-
mar etc., es scheint, daß das endlich gewirkt hat. Wird in dieser richtung
fortgefahren, so wird es auf uns jedenfalls eine Wirkung hervorbringen, ob
zum Anschlusse an die Westmächte oder an rußland? ist noch zweifelhaft,
ist aber für mich eine frage von secundairer Bedeutung.
[Wien] 20. August
ich war einige tage im gebirge, um frische luft zu schöpfen und mich von
der hiesigen langen Weile zu erholen. Am 17. fuhr ich nach reichenau und
machte von dort aus einsame Promenaden in der herrlichen gegend. die
beyden Abende brachte ich mit der hübschen frau v. mayerhofer und der
gezierten frau des exministers hornbostel zu, zwey Wiener Bürgersfrauen,
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien