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Tagebücher232
Am 14. Abends fuhr ich ab und schlief in Brünn. tags darauf suchte ich
chlumetzky auf, da ich mich wegen der historischen leistungen und Quel-
lenausgaben des historischen vereins in mähren näher informiren wollte,1
die leute haben dort schon sehr großes geleistet, und chlumetzky ist ein
tüchtiger mensch, ich verabredete auch einiges mit ihm wegen Benützung
der Provinzialpresse im oben angedeuteten sinne hinsichtlich der entste-
hungskämpfe des crédit mobilier, welche täglich lebhafter werden, die Wie-
ner Presse, ausschließlich in händen von Juden und canaillen, ist für meine
richtung unzugänglich, zudem habe ich alle meine früheren verbindungen
mit ihr verloren. Anderseits übernahm ich es, durch lerchenfeld in der All-
gemeinen Zeitung eine Besprechung der historischen leistungen in mähren
zu veranlassen, äußerst interessant sind die eben aufgefundenen Briefschaf-
ten carls von Zierotin, collaltos und Wallensteins.
Am 15. mittags fuhr ich mit egbert nach lösch, wo ich bis zum 18. blieb,
es herrscht viel leben und regsamkeit in diesem kreise, wovon er einen der
mittelpunkte bildet, und ich würde wünschen, daß es auch anderswo viele
solche leute wie er ist gäbe, obwohl er eine gewisse provincielle Beschränkt-
heit, welche ich übrigens in seiner stellung für eine tugend halte, und eine
ziemliche dosis einseitigen Adelsgeistes besitzt. dennoch würde ich ihn und
auch kleyle, mit welchem ich ebenfalls darüber gesprochen habe, im verwal-
tungsrathe des credits wünschen, denn selbst wenn ich in diesen gewählt
werde, würde ich, solange ich allein stehe, wenig ausrichten können. von
den gründern aber zähle ich nur auf fürstenberg und auch auf diesen nur
insoferne, als er nicht schon von haber umstrickt worden ist.2
ich hatte während der ganzen Zeit meines Aufenthaltes in mähren ein
herrliches Wetter, wirklich hat es erst seit gestern angefangen, kalt zu wer-
den, ich heize seit gestern. gabriele neuwall kömmt heute oder morgen vom
lande zurück.
Am 18. aß ich in Brünn bey chlumetzky und kam Abends hieher zurück.
hier habe ich mich seither vornehmlich mit der Angelegenheit der credit-
anstalt beschäftigt, die in den nächsten tagen zur entscheidung kömmt, ich
habe mit Bruck, salm, kleyle etc. gesprochen und mein möglichstes gethan,
um das Princip zu retten – ob es gelingt? müssen die nächsten tage lehren.
1 ritter Peter v. chlumecky hatte 1849 die historisch-statistische sektion der mährisch-
schlesischen gesellschaft zur Beförderung des Ackerbaues, der natur- und landeskunde
gegründet und war seit 1855 direktor des mährischen landesarchivs in Brünn.
2 graf egbert Belcredi schrieb über diesen Besuch Andrians in seinem tagebuch v.
13.11.1856: „vielerley mit ihm besprochen, was bey seinem geiste und Wissen nur ange-
nehm und anregend seyn kann. schade, dass er so verbittert ist, dass er an niemand mehr
ein gutes haar lässt. übrigens ist er sehr brauchbar, und man kann bis zu einer gewissen
Gränze wohl mit ihm geh’n.“ Boček (Hg.), Z deníků moravského politika v eře Bachově 83f.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien