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Tagebücher236
casino, theater, beydes höchst langweilig, das ist Alles, es ist ein wahres Po-
lypenleben in diesem elenden krähwinkel, namentlich fühle ich den mangel
an einer angenehmen frauengesellschaft, wie ich sie sonst überall, nur hier
nicht habe.
[Wien] 18. dezember
Bis vorgestern haben wir einen beispiellos kalten december gehabt, schnee
und abwechselnde kälte bis 17° r., nun ist auf einmahl in Zeit von 48 stun-
den aller schnee verschwunden, ein wahres Wienerwetter.
die subscription auf die creditanstaltaktien gab, wie bey den ungeschick-
ten dispositionen vorauszusehen war, zu allen möglichen excessen veran-
lassung, obwohl die armen teufel, die 18–20 stunden lang von 6 uhr des
Abends bis zum andern mittag bey einer kälte von 16° Queue machten, sich
noch wunderbar ruhig benahmen, es waren hauptsächlich leute aus den un-
tersten volksklassen, welche auf eigene hand eine Actie subscribirten und
das certificat auf der stelle mit 10–15 fl Profit verkauften. Plötzlich wurde
auf einen Befehl kempens (der sich vor einer Plünderung der Bank fürch-
tete!) am vorabende des letzten subscriptionstages die Bank gesperrt und
die subscription für geschlossen erklärt. dieser gewaltstreich, ebenso un-
geschickt als widerrechtlich, wurde nebstdem noch im nahmen der Bankdi-
rection ausgeführt, während diese kein Wort davon wußte. solche vorgänge
bezeichnen unsere Zustände, der gegenwärtige um so greller, als er im An-
gesichte der ganzen europäischen capitalistenwelt geschah, wie kann unter
solchen verhältnissen ein öffentlicher credit bestehen? es hat nun Prote-
stationen, erklärungen und gegenerklärungen gegeben, aber die sache ist
beym Alten geblieben, nur mit der Ausnahme, daß man die subscriptionen
einiger größerer häuser noch am letzten tage annahm, die gesammtsumme
der einzeichnungen beträgt 645 millionen.
ich danke gott, daß ich nicht im verwaltungsrathe bin, die zwey einzigen
honetten und intelligenten mitglieder desselben, mayer und erggelet, sind
bereits ausgetreten, das übrige ist bagage, und die ganze Anstalt sinkt täg-
lich in der öffentlichen Achtung, nichtsdestoweniger muß sie gute geschäfte
machen und dem lande großen nutzen bringen, wenn sie nur halbwegs mit
gesundem verstande geleitet wird.
Wegen der salzburgerbahn habe ich nunmehr meinen ersten Antrag tog-
genburg übergeben, welcher aber voraussichtlich noch große modificationen
erleiden wird. das object wächst mir unter der hand, es sind nun schon die
linien linz–Passau, salzburg–münchen, münchen–innsbruck und von da
an den Brenner miteinbezogen, um so besser, wenn sich nun die geldmit-
tel finden, vom staate ist ein geld- oder Actienbeytrag nicht zu erwarten,
dagegen wünscht Bruck und wünsche ich eine fusion mit der gesellschaft
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien